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Muss ich vor dem Tätowieren mit meinem Körper zufrieden sein?
Content Note: Body Shaming, eigenes Körperbild, Diätkultur, SVV
Schon seit vielen Jahrzehnten galten Tattoos für viele als ein kleiner, rebellischer Akt gegen gesellschaftliche Normen. Somit auch insbesondere gegen das gesellschaftliche Schönheitsideal. Dabei ist genau dieses vermeintliche Ideal häufiger in Tattoo-Studios Thema, als man es vielleicht zunächst denken würde.
Dein Körper ist gut genug
Einige Menschen haben vor Tattoos an bestimmten Körperstellen große Bedenken. Die Sorgen sind unterschiedlich: zu viel oder zu wenig Gewicht, Cellulite, Narben, Behaarung, Dehnungsstreifen. Jedoch haben sie einen gemeinsamen Kern: das Gefühl, dass der eigene Körper nicht gut genug sei. Dass man glaubt, seinen Körper noch verbessern zu müssen, bevor man sich diese Stelle tätowieren lassen kann. Außerdem ist da noch die Angst, dass man eine unliebsame Körperstelle mit einem Tattoo nur noch mehr betont und in den Fokus rückt. Vielleicht schämt man sich sogar davor, dem Tattoo Artist diese Stelle überhaupt zum Tätowieren vorzuschlagen.
Die Gründe für solche Gedanken sind vielfältig. So kann es zum Beispiel daran liegen, dass man im Portfolio des gewünschten Artists oft nur Tattoos an vermeintlich normschönen Körpern sieht. Man fühlt sich nicht repräsentiert und kann sich kaum vorstellen, mit dem eigenen Körper in einem solchen Portfolio aufzutauchen. Vielleicht bekommt man sogar Zweifel daran, ob ein Körper, der so aussieht wie der eigene, überhaupt tätowiert werden kann. Ob es eventuell einfach nicht schön aussehen würde. Doch das Problem ist an dieser Stelle nicht dein Körper, sondern die fehlende Repräsentation verschiedener Körper- und Hauttypen. Tattoos können an jedem Körper toll aussehen! Falls du trotzdem Zweifel hast, schau doch mal bei diesem Beitrag vorbei – dort zeigen wir, wie unterschiedlich tätowierte Menschen aussehen.
Dein Tattoo wird zu dir und deinem Körper passen
Nicht du musst dich dem Tattoo anpassen, sondern das Tattoo wird an dich angepasst. Nicht jedes Motiv funktioniert an jeder Körperstelle gleich gut, doch dazu berät dich dein*e Tätowierer*in im Vorfeld oder spätestens beim Termin ausführlich. Das Tattoo-Motiv kann an deine Körperform und auch an Besonderheiten, wie Muttermale und Pigmentflecken, angepasst werden.
Sollte sich dein Körper über die Jahre stärker verändern, so können sich auch deine Tätowierungen verändern, da sie in deiner Haut verankert sind. Auch zu dieser Thematik kann dich dein Tattoo Artist ganz individuell beraten, falls du dich deswegen sorgst. Ein guter Artist nimmt sich die Zeit und kann dir erklären, welche Veränderungen deine Tattoos wie beeinflussen könnten. Generell lässt sich jedoch sagen, dass deine Tattoos mit dir gemeinsam mit dir altern und sich als Teil von dir dementsprechend verändern werden.
Von Überwindung und Akzeptanz
Im Folgenden berichten einige liebe Menschen von ihren persönlichen Geschichten, Gedanken und Erfahrungen mit dem Thema.
Linda (@lindaimwunderland)
Tattoos wollte ich bereits im Alter von 15 Jahren. Für mich sind sie Kunst und ich fand die Vorstellung, ein Teil eines Kunstwerkes zu sein, einfach toll! Ich habe noch 15 weitere Jahre gebraucht, bis ich mir mein erstes Tattoo habe stechen lassen – mit 30! Heute bin ich 36.
Grund dafür waren meine Unsicherheiten in Bezug auf meinen Körper. Ich war noch nie schlank. Ich war immer „breiter“ als andere und wurde in der Schule auch oft auf meinen „dicken“ Körper reduziert. Das hat dazu geführt, dass ich mich in meiner Haut immer unwohler gefühlt habe. Ich habe damit angefangen, nur noch sehr weite Sachen zu tragen, die alles verhüllt haben, bevorzugt in schwarz. Als ich 18 wurde, wäre der Moment, gewesen, an dem ich mich endlich hätte tätowieren lassen können. Als ich meinen (vermeintlichen) Freunden davon erzählt habe, wurden die Unsicherheiten nur gestärkt: „Das sieht an dir nicht schön aus“, „Wenn du noch mehr zunimmst, verzieht sich alles“, „Dann sieht man dich noch mehr an“ – nur drei von vielen Sprüchen. Ich war zu unsicher, um zu mir selbst zu stehen und mich zu akzeptieren. Was ist falsch daran, anders zu sein?
Dann habe ich meinen Job in der Apotheke angefangen. Zu meinen Unsicherheiten kamen zusätzlich noch die Gedanken, wie wohl meine Außenwelt/Kundschaft darauf reagiert, wenn ich mir Tattoos stechen lasse.
Mit 21 habe ich meinen jetzigen Mann kennengelernt. Er hat mir gezeigt, wie schön ich eigentlich bin und dass von der Außenwelt aufgezwungene Schönheitsideale nicht zu mir passen und auch nicht das sind, was mich ausmacht. Er hat mich darin bestärkt, mir Tattoos stechen zu lassen und das, obwohl er Tattoos nicht besonders mag. Der Knackpunkt in meinem Denken war wohl der Moment, als er sagte „der Künstler freut sich über jede Leinwand, die er bekommen kann. Egal wie diese aussieht. Es kommt darauf an, was er darauf zaubern kann!“
Auch Social Media und die Body Positivity Bewegung haben dazu beigetragen, dass ich mich heute so liebe, wie ich bin! Dank der Frauen, die sich in knapper, bunter Kleidung zeigen und mir klar gemacht haben, „das Leben ist jetzt, worauf wartest du?“ Und auch noch mehr Fragen stellten sich mir: Lebst du für andere oder für dich selbst? Ist es wichtig, was andere über dich denken oder was du selbst über dich denkst? Ist meine Unsicherheit der Herrscher über mein Leben? – Nein. Trag den Bikini! Zieh die bunten Klamotten an! Lass dir das Ohrloch stechen! Iss die Schokolade! Ich wollte endlich meinen langen Traum erfüllen, ein Kunstwerk zu sein.
Auf der Suche nach einem geeigneten Künstler habe ich über Feelfarbig Mike und Isa gefunden. Und direkt der erste Termin war soooo toll! Ich habe mich so gut aufgehoben gefühlt. Meine Figur war gar kein Thema! Und kaum war die Farbe auf der Haut, wurde ich von Selbstliebe überflutet! Ich habe mich so wohl gefühlt, wie noch nie! Vielleicht kennt man dieses Brautgefühl: der Moment, wenn man das Kleid trägt und weiß „das ist es“ und die folgenden Glücksgefühle. Das habe ich mit jedem Tattoo, das ich bekomme. Dieses Glück, mich einfach schön zu fühlen und das jedem zeigen zu wollen! Und ich strahle das auch aus. Ich bekomme so viele Komplimente! Oft im Schwimmbad, wenn man einfach alle Tattoos sieht. Niemand sieht auf meine dicken Arme, meinen ausladenden Bauch, auf meine Cellulite, auf die Dellen und Narben – alles, was man sieht, ist Kunst. Alles, was man sieht, bin ich – voller Selbstliebe und endlich Selbstsicherheit und Akzeptanz. Dank meiner Tattoos.
Marie
Ich habe schon im frühen Kindesalter spüren müssen, dass manche Körperformen in der Gesellschaft nicht so akzeptiert werden wie andere. Seit der Schulzeit habe ich aufgrund meines Übergewichts heftiges Mobbing erfahren. Man hat mir das Gefühl gegeben, ich sei weniger wert als meine normalgewichtigen Klassenkameraden. Von da an habe ich besonders meinen Bauch und meine Oberschenkel ständig verdeckt, traute mich nicht kurze Hosen oder Röcke zu tragen. Seit meinem 18. Lebensjahr lasse ich mich tätowieren und habe schnell gemerkt, wie mir bunte Haut ein besseres Körpergefühl verschafft. Jedes bisschen neue Tinte hat den Fokus von meinem „minderwertigen“ Körper genommen und mir oft sogar den Einstieg in ein Gespräch ermöglicht.
2021 und 2022 habe ich mir von Anke (@cheatingattorney) zwei große Tierportraits, einen Waschbären und einen Fuchs, auf meine Oberschenkel tätowieren lassen. Im Sommer 2023 habe ich mich zum ersten Mal wohl genug gefühlt, um Shorts und Röcke zu tragen. Tattoos haben mir das Gefühl gegeben, wieder die Macht über meinen eigenen Körper zu haben. Ich fühle mich weniger den Blicken anderer ausgeliefert, habe mehr Selbstbewusstsein und fühle mich einfach viel wohler in meiner Haut. Ich kann jedem nur raten: Du musst nicht warten, bis du „dünn genug“ für Tattoos bist. Tätowierte Haut sieht bei jeder Körperform gut aus!
Marko
Ich hatte seit der Pubertät extreme Dehnungsstreifen an den Oberschenkeln. Ich war unzufrieden und habe kaum kurze Hosen getragen, selbst beim Sport. Mit Anfang 20 sah ich dann ein Tattoo-Motiv auf Instagram, bei dem ich wusste, ich muss es einfach haben. Meine Tätowiererin (Marlene Musiol) war sehr einfühlsam, hat mir erklärt, was machbar ist und was ich erwarten kann – und dann ein fantastisches Ergebnis abgeliefert. Durch das Tattoo hatte ich das Gefühl, dass ich jetzt etwas Schönes zu zeigen habe und meine „Makel“ nicht so auffallen.
Die Dehnungsstreifen sind mittlerweile übrigens fast nicht mehr sichtbar, aber das Selbstbewusstsein, das mir das Tattoo gegeben hat, war für mich damals Gold wert. Ich liebe mein Tattoo bis heute und zeige es immer wieder gerne.
Claudia (@felis.catus.tattoo)
Solche Aussagen, dass ein Körperteil womöglich zu dick für ein Tattoo wäre, habe ich als Tätowiererin tatsächlich schon sehr häufig von meiner überwiegend weiblichen Kundschaft gehört. Meine „professionelle“ Meinung dazu ist immer die gleiche Antwort, die ich auf die Frage „Wie sieht das denn aus, wenn du alt bist?“, gebe: Bunt sieht’s immer besser aus! Alte Haut sieht untätowiert nur alt aus, mit Tattoos hat man immerhin noch was zu gucken.
Gerade die Stellen, die man selbst nicht mag, sollte man schön dekorieren, damit sich das ändert. Abgesehen davon können wir Tätowierer wohl mit 100-prozentiger Sicherheit sagen, dass absolut jeder Körper einzigartig ist und man den von der Gesellschaft aufgedrückten Schönheitswahn getrost in die Tonne kloppen sollte. Wenn wir eine weniger oberflächliche Welt wollen, müssen wir damit anfangen, uns selbst weniger oberflächlich zu behandeln, denke ich.
Anna (@_aa_kk_bb_)
Ich habe mich nie in meinem Körper wohl gefühlt, mich regelrecht versteckt und sogar selbst verletzt. Ein paar dieser Narben habe ich irgendwann von einem Tattoo verdecken lassen, was direkt einen so großen Effekt hatte. Ich habe plötzlich gerne Shirts getragen, um stolz mein Tattoo zu zeigen.
Dann kam das erste große Tattoo auf den Oberschenkel. Meine Beine mochte ich nie und dachte, dass ich vielleicht vorher etwas abnehmen sollte. Das Tattoo wollte ich aber trotzdem unbedingt und so kam es. Danach habe ich sogar angefangen Röcke zu tragen und tatsächlich die Beine zu zeigen. Als nächstes war der Rücken dran. Ein wirklich großes Projekt und dafür muss man mit nahezu freiem Oberkörper vorm Tätowierer stehen. Sogar ein Underboob-Tattoo habe ich mich getraut, ohne vorher eine Diät zu machen.
Mittlerweile habe ich so viel Selbstvertrauen gewonnen, dass ich gerne meinen Körper zeige. Tätowierungen tun mir gut! Vielen Dank an die Tätowierer, die so tolle Arbeit geleistet und dabei eine angenehme Atmosphäre geschaffen haben, in der ich mich wohlgefühlt habe.
Charlotte (@polytoxikomanie_)
Ich bin selbst mit meinem Körper immer am strugglen gewesen, gerade mit meinen Beinen. Durch Gewichtszu- und abnahme, und auch schlechtes Bindegewebe, hab ich entsprechend Cellulite und, seit ich mich erinnern kann, eher „kräftige“ Beine. Ich hab mich dafür immer geschämt und mich jahrelang nicht getraut, kurze Hosen zu tragen. Tattoos auf den Beinen waren für mich lange undenkbar.
Nach reichlicher Überlegung habe ich dann einfach einen Termin für ein Oberschenkel-Tattoo bei Kim (@kim.bendig) ausgemacht. Rückblickend betrachtet war das die beste Entscheidung. Ich hab so viel Selbstbewusstsein gewonnen und meine Beine finde ich mittlerweile echt klasse. Kurze Hosen trag ich seitdem auch sehr gerne! Die Tattoos kaschieren meine „Problemzonen“ und ich fühl mich wohl. Der Termin für das nächste Oberschenkel-Tattoo ist auch schon vereinbart!
Marie (@miss.bettieblack)
Ich mag meine Oberschenkel (Reiterhosen) nicht und auch meine wenig ausgeprägte Taille und mein Bäuchlein finde ich nicht super. Deshalb habe ich länger gezögert, mir diese Stellen tätowieren zu lassen. Da waren Gedanken wie, „Vielleicht könnte man da ja doch noch irgendwie an den Problemstellen abnehmen, bevor man sich für ein Motiv entscheidet“, oder ,“Vielleicht entscheide ich mich sogar irgendwann für eine Fettabsaugung“, oder ,“Betone ich vielleicht mit einem Tattoo die unschönen Stellen zu arg?“
Aber ich wollte so gerne am Oberschenkel eine Tätowierung und schließlich hab ich dem Wunsch nachgegeben und mir von Stella (@stella.gruengold) den linken Oberschenkel verzieren lassen. Ich habe es am Ende auch nicht bereut. Im Gegenteil! Ich komme mit meinen „Problemstellen“ besser klar, fühle mich wohler damit und finde sie schöner. Ich finde, ich muss jetzt gar nichts mehr „dagegen“ machen.
Bei dem Tattoo am Bauch war es so, dass ich ein Wannado so toll fand und mein Gefühl mir sagte, dass es thematisch genau auf eine Stelle am Bauch „musste“. Das war auch von Stella. Ich hatte aber auch hier zuerst noch Bedenken, ob das bei meinem Bäuchlein gut aussehen würde. Aber auch hier freue ich mich, denn es war das richtige Tattoo für die richtige Stelle und jetzt finde ich, ich darf Bäuchlein haben, es gehört zu mir – genau wie das Tattoo.
Mandy
Schon immer war ich übergewichtig und meine Umwelt hat mich dies auch spüren lassen. Sehr viele Jahre habe ich meinen Körper in zu großer Kleidung versteckt. Meine Oberarme mussten immer bedenkt sein, da ich mich sehr doll für diese massigen Arme schämte.
Doch irgendwann, nach vielen Herausforderungen, die mir das Leben vor die Füße geworfen hat, sollte mir ein Tattoo dabei helfen, mehr zu mir zu finden. Den ersten Schritt in die Selbstverwirklichung zu gehen und endlich mein Leben zu leben und nicht irgendein anderes.
Ich habe mir den rechten Oberarm tätowieren lassen. Vier Elemente aus verschiedensten Comics, die mich prägten, in einem floralen Thema. Dieses Tattoo hat mir meine Selbstbestimmtheit zurückgegeben. Nun zeige ich meine Arme stolz, denn das bin ich. So sehe ich aus, so sehen Menschen aus. Mein Körper zeigt meine Geschichte.
Tattoos können Selbstakzeptanz bringen
Schon vielen Menschen haben ihre Tattoos dabei geholfen, sich mehr zu akzeptieren und auch ehemals ungeliebte Körperstellen mehr zu lieben. Stellen, die vorher aus Scham versteckt wurden, werden seitdem sie tätowiert sind, mit Stolz gezeigt und als Teil von sich angenommen. Die Kunst auf der Haut kann also ein Weg sein, um sich mit dem eigenen Körper zu versöhnen, ihn zurückzuerobern und zu schmücken.
Wir hoffen, dass dir diese Geschichten und Erfahrungen vielleicht ein paar deiner Ängste und Sorgen etwas nehmen konnten! <3