Tätowierer*innen ohne Tattoos – Widerspruch oder egal?

Tätowierer*innen ohne Tattoos – Widerspruch oder egal?
Man sollte Artists nicht an ihrem Aussehen messen – sondern an ihrem Können.


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Die meisten denken bei Tätowierer*innen an stark tätowierte Personen – ein Bild, das tief verwurzelt ist. Doch stimmt das zwangsläufig?

Tattoos als Zugang zur Szene

Ursprünglich war die Tattoo-Branche sehr verschlossen: Wissen und Geräte waren nur schwer zugänglich. Wer dazugehören wollte, musste sich idealerweise mit anderen Tätowierer*innen vernetzen. Am einfachsten funktionierte das, wenn man Interesse an den Arbeiten anderer zeigte – zum Beispiel, indem man sich von ihnen selbst tätowieren ließ. Auf diese Weise entstanden Netzwerke, Austausch und gegenseitige Förderung.

Diese Exklusivität prägte die Szene stark, inklusive einer gewissen Abgeschlossenheit gegenüber Außenstehenden. Bis heute beeinflusst dieses Mindset, wie Kund*innen und Kolleg*innen die Kompetenz und Szene-Verankerung eines Tattoo Artists einschätzen.

Sagt es etwas über die Fähigkeiten aus, wenn ein Tattoo Artist selbst keine Tattoos hat?
Sagt es etwas über die Fähigkeiten aus, wenn ein Tattoo Artist selbst keine Tattoos hat?

Erwartungen an Tätowierer*innen

Stell dir vor, du sitzt im Tattoo-Studio und merkst: Dein*e Tätowierer*in hat keine einzige Tätowierung. Oder zumindest keine, die trotz Bekleidung sichtbar ist. Für manche ist das irritierend, eine Art Bruch in der Erwartungshaltung. Das kann sogar bis hin zu Misstrauen und Skepsis führen. Andere sehen darin kein Problem, solange das Handwerk stimmt.

Hier prallen zwei Sichtweisen aufeinander: die Szene, die Tattoos als Identität und Kultur versteht, und jene, die Tätowieren als neutralen Beruf sehen. Kritiker*innen bemängeln, dass jemand, der keine Tattoos trägt, sich zu weit fernab der Tattoo-Kultur bewegt. Besonders in einer Branche, die zunehmende Kommerzialisierung erlebt, entsteht das Gefühl: Jemand ohne Tattoos arbeitet nur fürs Geld und hat kein echtes Interesse an Tattoo-Kunst. Wer wenig mit der Szene verbunden ist, profitiert zwar von ihren Entwicklungen, hat aber wahrscheinlich weniger aktiv daran mitgewirkt.

Aber warum empfinden einige Kund*innen den Mangel an Tattoos als Warnsignal? Es liegt oft an der Annahme, dass Tätowierer*innen ohne eigene Tattoo-Erfahrung nicht verstehen, wie es sich anfühlt – körperlich und emotional.

Kritiker*innen sagen: Wer keine Tattoos hat, hat auch weniger Erfahrung.
Kritiker*innen sagen: Wer keine Tattoos hat, hat auch weniger Erfahrung.

Fehlt ohne Tattoos das Verständnis?

Ein zentraler Kritikpunkt: Wer nie selbst tätowiert wurde, weiß nicht, wie es ist. Schmerzen, Heilungsprozess, Pflege, Außenwirkung von Tattoos – viele Kund*innen schätzen es, wenn ihr Artist diese Erfahrungen selbst kennt. Zudem wirkt ein tätowierter Tattoo Artist direkt auf den ersten Blick authentisch, da er das erwartete Bild widerspiegelt. Auf der anderen Seite gibt es Gegenstimmen: Fachwissen, Technik und ästhetisches Gespür lassen sich auch ohne eigene Tattoos gut entwickeln.

Dennoch bleibt der emotionale Aspekt spürbar: Empathie für Kund*innen wird womöglich stärker wahrgenommen, wenn die eigene Haut Tattoo-Erfahrung widerspiegelt. Kritiker*innen argumentieren, dass fehlende Tattoos den Bezug zur Szene, zu Kolleg*innen und zur kontinuierlichen Weiterentwicklung beeinträchtigen können.

Plot Twist: Dieser Artist ist doch tätowiert, auch wenn es auf den ersten Bildern nicht so aussah.
Plot Twist: Dieser Artist ist doch tätowiert, auch wenn es auf den ersten Bildern nicht so aussah.

Portfolio und Hautbild

Am Ende zählt die Arbeit. Saubere Linien, stimmige Schattierungen und kreative Designs zeigen Können. Ob die eigene Haut tätowiert ist, hat darauf objektiv gesehen keinen Einfluss.

Stark tätowierte Artists haben durch eigene Stücke oft zusätzliche Erfahrung gesammelt: Sie kennen Heilungsprozesse an verschiedenen Körperstellen. Sie sehen täglich, wie Farben sich verändern können, und wie sich Linien über die Jahre entwickeln. Außerdem probieren einige von ihnen neue Farben, Techniken oder Maschinen häufig auch erstmal auf sich selbst statt auf der Kundschaft aus. Das ist natürlich kein Muss, aber sendet nach außen hin das Signal, dass man fürs Tätowieren auch gerne „Opfer bringt“.

Artists ohne eigene Tattoos können diese Perspektive ebenfalls aufbauen – durch Beobachtung, Übung und theoretisches Wissen. Fehlende Tattoos sind kein eindeutiges Zeichen für mangelnde Kompetenz, sondern zeigen, dass man sich Erfahrung auf anderen Wegen aneignet. Wer in der Szene wirklich verwurzelt ist, ohne selbst tätowiert zu sein, wird auch so breit gefächerte Eindrücke bekommen können.

Letztlich zählt vor allem, dass man mit dem Ergebnis zufrieden ist.
Letztlich zählt vor allem, dass man mit dem Ergebnis zufrieden ist.

Warum es selten bleiben wird

Tätowierer*innen ohne Tattoos sind absolute Ausnahmen. Wer selbst Tattoos trägt, verkörpert nach außen hin ein größeres Interesse an der Szene und an der Kunstform. Für viele Artists ist das erste Tattoo auf der eigenen Haut das, was ihren Traum vom Tätowieren festgesetzt hat. Ein Moment, der sie mit der Szene verbindet.

Das eigene Tattoo entsteht nicht unbedingt immer spontan: Recherche, Überlegung zur Platzierung und zum Motiv sowie ein Auge für Stil und Qualität spielen meist eine Rolle. Künstler*innen, die sich selbst tätowieren lassen, erleben das Ganze aus der Perspektive ihrer Kundschaft und entwickeln dadurch ein tieferes Verständnis für den gesamten Prozess. Das kann ihre Arbeit bereichern und auch das Vertrauen von Kund*innen stärken, weil sie die Erfahrung selbst kennen, die sie vermitteln.

Fehlende Tattoos bedeuten nicht automatisch schlechte Arbeit – sie lassen nur vermuten, dass die kulturelle Verwurzelung schwächer sein könnte. In einem stark kommerzialisierten Umfeld verstärkt dies leicht den Eindruck, dass es weniger um Tattoo-Kunst und mehr um Umsatz geht. Jedoch gibt es auch andere Gründe, keine Tattoos zu tragen – gesundheitliche Einschränkungen, religiöse oder persönliche Überzeugungen.

Ob mit oder ohne Tattoos - am Ende zählt, dass dein Artist sich auf dich und deine Wünsche konzentriert.
Ob mit oder ohne Tattoos – am Ende zählt, dass dein Artist sich auf dich und deine Wünsche konzentriert.

Es zählen Interesse, Erfahrung und Vertrauen

Am Ende zählen Können, Erfahrung und das grundlegende Verständnis für die Tattoo-Kultur. Wer selbst Tattoos trägt, kann den eigenen Erfahrungsschatz zur beruflichen Weiterentwicklung nutzen. Fehlende Tattoos sind kein Indikator für schlechte Arbeit, werden aber in der Szene ziemlich kritisch beäugt.

Letztlich bleiben Transparenz, Professionalität und handwerkliches Können jedoch die entscheidenden Faktoren für Vertrauen. Die Anzahl an eigenen Tattoos ist dabei nicht der Maßstab. Entscheidend ist die Fähigkeit, ästhetische Arbeiten sauber umzusetzen und die Bedürfnisse der Kund*innen zu verstehen und zu respektieren. In einem Markt, der stark kommerzialisiert ist, verschafft ein tätowiertes Erscheinungsbild dennoch einen subtilen Vertrauensvorsprung.

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