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Muss mein Tattoo eine Bedeutung haben?
Ein Tattoo muss doch etwas bedeuten, oder?
Es war 2010, ich war gerade 18 Jahre alt und meine Ausgangssituation war nicht die beste: ich wusste, dass ich ein Tattoo wollte, aber ich hatte keine Idee für ein Motiv. Und so warf ich mich erstmal in die Weiten des Internets. Ich gab ohne Plan von Tätowierungen und Kunst irgendwelche Suchbegriffe bei Google ein, um Fotos von Tattoos zu finden, die mir gefallen könnten. Für den Kontext: 2010 kam Instagram gerade erst in den Appstore und auch Pinterest wurde erst in diesem Jahr gegründet.
Meine Recherche verlief nur so suboptimal, denn ich fand hauptsächlich „Star-Tattoos“ oder ganze Realismus-Sleeves. Auch in Tattoo-Foren wurde ich nicht wirklich fündig, aber lernte schon mal, dass man bei der Wahl des Tattoo-Studios auf vieles achten musste.
Dann ging ich dazu über, eher nach Tattoo-Ideen als nach Bildern zu suchen. Ich wurde schnell fündig und las zahlreiche Artikel zu Trend-Motiven und ihrer Bedeutung. So verankerte sich bei mir der Gedanke, dass Tattoos wohl besser eine Bedeutung haben sollten.
Mein erstes Tattoo
Irgendwie führte dieser ganze Prozess dazu, dass ich dachte, ich wollte einen Traumfänger auf meinem Fußrücken tätowiert haben. Natürlich einen mit vielen coolen Details: eine Libelle sollte auf dem Ring sitzen, denn „die Libelle ist ständig in Bewegung, unbeständig, sich verändernd“. Außerdem sollten unten an den Bändern viele Dinge baumeln. Eine Musiknote, weil Musik mir so wichtig war. Und natürlich Federn, die für Freiheit stehen. Wie das ganze Teil samt Details auf den Fußrücken passen sollte, frage ich mich bis heute. Damals hatte ich keine Vorstellung davon, was als Tattoo gut umsetzbar ist und wie ein Tattoo überhaupt altert.
Es vergingen noch zwei weitere Jahre und ich fand die Idee nicht mehr so cool. Den Traumfänger an sich fand ich zwar hübsch anzusehen, aber wenn ich ehrlich zu mir selber war, hatte ich damit nichts am Hut. Es hatte absolut keine Bedeutung für mich, also musste etwas Neues her.
Erst das Motiv, dann die Bedeutung
Mittlerweile hatte ich mein Biologiestudium begonnen und dachte: „Okay, das ist doch etwas, das mich sicher mein Leben lang prägen wird. Perfekt für ein Tattoo!“ Als ich dann zwei Chemie-Module hatte, stand für mich fest: es sollte eine chemische Strukturformel werden. Die sehen cool aus! Dass ich in Chemie eine absolute Niete war und nicht wirklich Spaß daran hatte, habe ich einfach mal ignoriert.
Doch natürlich musste jetzt ein Molekül her, das – ihr ahnt es schon – eine Bedeutung hat. Ich googelte also wieder. Wie sieht Koffein aus? Zu groß. Was ist mit Adrenalin? Irgendwie komisch. Dann kam ich auf die Idee, ein Glückshormon zu nehmen. Serotonin war mir leider auch zu groß und irgendwie kam ich dann auf Dopamin. Eine schöne und kompakte Strukturformel – perfekt! Und so ergab sich für mich die Bedeutung: Mit diesem Tattoo habe ich das Glück für immer an meiner Seite. Also wortwörtlich, da das Tattoo seitlich an meinem Rippenbogen landen sollte.
Tatsächlich blieb ich auch dabei und ich bekam 2012 oder 2013, ich weiß es nicht mal mehr genau, mein erstes Tattoo.
Mein zweites erstes Tattoo!
Von diesem Zeitpunkt an habe ich mich immer mehr mit Tattoos beschäftigt. Ich lernte, dass es viele verschiedene Stile gibt und dass Tattoo-Motive richtig kreativ sein konnten. Mittlerweile war auch Instagram in Deutschland populärer und ich folgte zahlreichen Tätowierer*innen. Viele davon hatten einen ganz eigenen Stil und fertigten richtige Unikate an – ich war total überwältigt von dieser Vielfalt, die sich mir plötzlich bot. Außerdem war ich sehr erleichtert, zu sehen, dass ich meine Tattoo-Ideen gar nicht selbst skizzieren musste.
Eines Tages entdeckte ich das Profil eines Tätowierers und es war quasi Liebe auf den ersten Blick. Sein Stil gefiel mir sooo gut und seine Arbeiten sahen sauber tätowiert aus. Es gab nur ein paar Hindernisse: er arbeitete in der Schweiz und sprach kaum Englisch. Also folgte ich ihm erstmal und begann damit, Geld zur Seite zu legen. Mein nächstes Tattoo sollte unbedingt von ihm sein – dafür würde ich auch eine Reise in die Schweiz in Kauf nehmen!
Zum Glück kam es aber ein bisschen anders, da er wenige Wochen später einen Guestspot ankündigte. Zwar nicht in Deutschland, aber immerhin in einer Stadt in Belgien, die nur wenige Stunden von meiner Heimat entfernt lag. Ich schrieb ihm also sofort, um mir einen Termin zu sichern.
Eine Idee für ein Motiv hatte ich mal wieder nicht wirklich, doch eines seiner bereits tätowierten Motive, ein Fuchs, gefiel mir so gut, dass ich mich daran orientierte. Zu meinem Fuchs wünschte ich mir noch einen Mond und ließ ihm ansonsten einfach freie Hand. Er würde schon etwas entwerfen, dass mir gut gefällt, denn tatsächlich fand ich jede einzelne seiner Arbeiten so schön, dass ich sie mir als Tattoo an mir vorstellen konnte.
Für mich ist dieses Tattoo, bei dem ich so gar keinen Prozess zur Ideenfindung durchgemacht habe, mein zweites erstes Tattoo. Oder auch mein erstes Richtiges – eben, weil es keine Bedeutung hat, einfach nur schön aussieht und in einem individuellen Stil umgesetzt wurde.
Tattoos ohne Bedeutung
Ich finde es total schön, wenn Tattoo-Motive für ihre Träger*innen eine tiefere Bedeutung haben. Wenn sie einem auf einer emotionalen Ebene etwas geben können, ist das einfach sehr besonders. Für mich persönlich habe ich jedoch festgestellt, dass meine Tattoos keine Bedeutung brauchen. Stattdessen ist es mir wichtig, Tattoos zu haben, die mich künstlerisch und optisch ansprechen. Meine Faszination für die Vielfalt an einzigartigen Motiven und Stilen sorgte dafür, dass ich sie alle haben wollte und mich eher darauf fokussiert habe. Deswegen konnte ich bei meinen Tattoos auch kein einheitliches Konzept verfolgen, sondern trage viele verschiedene Stile und Motive diverser Künslter*innen auf meiner Haut.
Heute funktioniert es meist so für mich, dass ich zuerst einen Tattoo Artist entdecke und mir dann überlege, welches Motiv zu seinem*ihrem Stil passt und mir gefallen würde. Dabei lasse ich mich von ihrem online einsehbaren Portfolio inspirieren. Außerdem greife ich auch gerne bei Wannados zu – also bei den Motiven, die der Tattoo Artist bereits gezeichnet hat und nun zum Tätowieren anbietet.
Zusätzlich habe ich in meiner Notiz-App eine kleine Liste mit Wunschmotiven. Darauf findet man zum Beispiel eine Pflanze, die ich besonders schön finde, oder Tiere, die ich mag. Manchmal vielleicht auch etwas mit einer kleinen Bedeutung, wie einen Charakter aus meiner Lieblingsserie. Statt nun aber aktiv auf die Suche nach dem passenden Tattoo Artist zu gehen, warte ich einfach ab, bis ich die perfekte Person dafür zufällig entdecke. Da ich mich mittlerweile seit über zehn Jahren mit Tätowierungen beschäftige, stolpere ich ohnehin ständig wieder über neue Tätowierer*innen, deren Stile mich wirklich beeindrucken. Auch diese landen in meiner Notiz-App auf einer Liste mit Artists, von denen ich mir unbedingt noch ein Tattoo abholen möchte.
Von Bedeutung hin zu Ästhetik
Tatsächlich hat es mir bei meinem persönlichen Tattoo-Journey geholfen, den Aspekt der Bedeutsamkeit beim Planen meiner Tattoos aufzugeben. Natürlich können auch Tattoos, die eine tiefere Bedeutung haben, künstlerisch ansprechend in einem coolen Stil umgesetzt werden. Das schließt sich absolut nicht aus! Nur für mich persönlich war das nicht der richtige Ansatz, um neue Motive zu finden, die ich für immer auf meiner Haut tragen möchte.
Trotzdem haben fast alle meine Tätowierungen (und ich habe wirklich aufgehört, sie zu zählen) irgendwie doch eine kleine Bedeutung. Zwar keine, die ich mir im Vorfeld gut überlegt habe, aber manche Tattoos erinnern mich zum Beispiel einfach nur an den Tag oder die Stadt, wo ich tätowiert wurde. Andere Tattoos haben über die Jahre eine Bedeutung gewonnen, weil ich mittlerweile bestimmte Situationen oder Emotionen mit ihnen verbinde. Oft ist es auch nur ein sehr vages Gefühl von Nostalgie – eine Erinnerung an die Zeit, in der ich mich tätowieren ließ. Außerdem erinnert mich manch eine Tätowierung an den Artist, der sie tätowiert hat und die Gespräche, die wir geführt haben.
Selbst wenn man seine Tattoos also nicht unbedingt mit einer Bedeutung versehen möchte, sind viele davon doch irgendwie mehr als „nur Bilder auf der Haut“. Sie sind Teil des eigenen Erscheinungsbildes und altern gemeinsam mit einem. Sie sind ständig in Bewegung, unbeständig, sich verändernd – wie die Libelle!