Tätowierer, Studiobetreiber, alleinerziehend – Julian Hets im Interview

Tätowierer, Studiobetreiber, alleinerziehend – Ein Tag mit Julian Hets
Tätowierer, Studiobetreiber, alleinerziehend – Ein Tag mit Julian Hets


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Es ist noch dunkel, wenn Tätowierer Julian Hets seinen Tag beginnt. Während viele noch schlafen, schmiert er Pausenbrote, legt Kleidung bereit und prüft, ob die Turnbeutel gepackt sind. „Ich stehe gerne früh auf,“ sagt der er. „Ich habe aber auch viel, um das ich mich kümmern muss.“

Julian Hets im Schein des leuchtenden Ringlicht-Mondes.
Julian Hets im Schein des leuchtenden Ringlicht-Mondes.

Es braucht diesen Vorsprung, um dem Tag voraus zu sein – um nicht unterzugehen zwischen Schulbrote schmieren und Tattoos designen, zwischen Schulzeiten und Studioterminen.

Denn Julians Alltag ist ein fein abgestimmtes Zusammenspiel aus Berufung und Verantwortung: Alleinerziehend als Vater von drei Kindern. Selbständiger Tätowierer. Betreiber eines eigenen Studios.

Was nach Belastung und Überforderung klingt, ist für Julian mittlerweile ein ganz normaler Tag. Zwar ist nicht immer alles einfach oder perfekt, aber er hat ein funktionierendes System für sich, seine Familie und seine Arbeit entwickelt. Mit Struktur, Klarheit und der Bereitschaft, Hilfe anzunehmen.

Spiel und Nähe – Julian mit seiner Tochter auf dem Campingplatz.
Spiel und Nähe – Julian mit seiner Tochter auf dem Campingplatz.

Anfangsjahre und alleinerziehend: Wenn alles auf einmal kommt

Die Jahre nach seiner Scheidung waren intensiv. „Die ersten zwei Jahre nach der Trennung hatte ich die Kinder komplett alleine“, erzählt Julian. Auf einmal war er alleinerziehend. Kein Wechselmodell, kein Auffangnetz – nur er, drei kleine Kinder und ein Tattoo-Studio, das irgendwie weiterlaufen musste.

„Ich war kurz davor, alles hinzuschmeißen, weil einfach nichts mehr ging.“

Julian spricht offen darüber, wie sehr ihn diese Zeit körperlich und seelisch belastet hat. Der eigene Anspruch, niemanden enttäuschen zu wollen, lag schwer auf ihm. „Laden, Kinder und Tätowieren – das war irgendwann einfach zu viel.“

Nachts, wenn die Kinder schliefen, wartete die Arbeit auf ihn. Er lernte: Auch Stärke braucht Grenzen. Und dass es okay ist, sie zu akzeptieren.

Julian und Tochter bereiten einen Tattoo-Stencil vor.
Julian und seine Tochter bereiten einen Tattoo-Stencil vor.

Der Wendepunkt: Hilfe annehmen

„Man muss nicht jeden Scheiß alleine machen. Hilfe annehmen ist kein Zeichen von Schwäche.“

Dieser Satz markierte für Julian einen Wendepunkt. Den Moment, in dem er begann, sich selbst mit derselben Geduld zu begegnen, die er auch seinen Kund*innen entgegenbringt.

Er begann damit, Aufgaben im Studio abzugeben und neue Strukturen für die Kinderbetreuung zu schaffen. So pendelte sich langsam eine gute Balance zwischen Beruf und Familie ein. Vielleicht nicht perfekt – aber tragfähig.

Julians Tochter verewigt sich auf seinem Bein.
Julians Tochter verewigt sich auf seinem Bein.

Tattoo und Alltag: Die Kunst der Vorbereitung

„Früher lief das im Shop so: Musik war laut, das Telefon hat geklingelt, ständig sind Leute reingekommen. Man musste immer wieder unterbrechen. Handschuhe aus, Handschuhe wieder an. Die Kundin liegt da und muss warten. Das ist alles nicht so schön.“

Heute arbeitet Julian ausschließlich auf Termin. Jede Sitzung bekommt seine volle Aufmerksamkeit, ohne Ablenkung. Kein Hektikmodus mehr – sondern Konzentration auf die Person und die Arbeit.

Auch zu Hause folgt er festen Abläufen: Früh aufstehen, Schule, Studio, Nachmittag mit den Kindern, abends zeichnen.

Diese Struktur ist kein Korsett. Sie schafft Raum – für Nähe, Kreativität und den Anspruch, präsent zu sein. „Ohne Struktur würde ich untergehen“, sagt er. Sie ist kein Zwang, sondern ein Werkzeug, das ihn durch den Alltag trägt.

Auch seine Kids bekommen bei Julian hin und wieder Kunst auf die Haut - temporär und spielerisch, versteht sich.
Auch seine Kids bekommen bei Julian hin und wieder Kunst auf die Haut – temporär und spielerisch, versteht sich.

Empathie als Beruf und Berufung

Julian begegnet Menschen mit Offenheit – im Studio wie im Alltag.

„Ich versuche, mich auf die Leute einzulassen, ihnen ein gutes Gefühl zu geben,“ erklärt er. Für ihn ist das mehr als Service. Es ist Haltung.

Dieses Prinzip prägt nicht nur seine Arbeit als Tätowierer, sondern auch sein Vatersein: Zuhören, geduldig bleiben, den Raum geben, eigene Entscheidungen zu treffen.

In beiden Rollen weiß er: Vertrauen ist die wichtigste Grundlage. „Man darf da nicht abstumpfen“, sagt er. „Man ist nicht allwissend und kann den Leuten nicht vortanzen, wie es zu laufen hat.“ Verbindung entsteht nicht durch strenge Ansagen, sondern durchs Begleiten.

Temporäre Kunst mit Markern auf Julians stolzen Kindern
Temporäre Kunst mit Markern auf Julians stolzen Kindern

Krisen und kleine Siege

Natürlich läuft auch heute nicht alles glatt. Krankheitstage, plötzliche Schulprobleme, durchwachte Nächte.

„Wenn die Kinder krank sind, dann sind die krank. Ich bin ja auch mal krank,“ sagt Julian nüchtern. Dann wird eben improvisiert: Termine verschieben, Kund*innen informieren, Prioritäten neu setzen.

Und die meisten verstehen das. Vielleicht, weil Julian ihnen von Anfang an begegnet wie ein Mensch – nicht wie ein Produkt.

„Bring dein Bauchgefühl mit,“ sagt er auch zu neuen Kund*innen. Ein Satz, der auch gut als Lebensmotto funktionieren würde.

Kunst ist auch abseits des Tätowierens für Julian und die Familie wichtig.
Kunst ist auch abseits des Tätowierens für Julian und die Familie wichtig.

Für alle, die zweifeln

Was Julian anderen Menschen rät, die selbstständig und alleinerziehend sind? „Organisiere dich so gut du kannst, aber sei nicht zu hart zu dir selbst, wenn nicht alles klappt.“ Und vor allem: „Hilfe annehmen ist kein Versagen.“

Sein Weg zeigt: Es geht nicht darum, alles perfekt zu machen. Es geht darum, dran zu bleiben – Tag für Tag. Man darf sich nicht von schlechten Tagen entmutigen lassen.

„Am Ende zählt nicht, wie perfekt du warst, sondern wie sehr du bei dir geblieben bist.“

Wir danken Julian Hets für das offene Gespräch, seine Offenheit und den tollen Einblick in seine Welt als Tätowierer, Studiobetreiber und natürlich Papa.

Unseren Artikel über tolle Tattoo-Mütter findest du übrigens hier.

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