Rückzug aus der Tattoo-Branche – Jascha Leven im Gespräch

Rückzug aus der Tattoo-Branche - Jascha Leven im Gespräch
Rückzug aus der Tattoo-Branche – Jascha Leven im Gespräch

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Vor wenigen Tagen hat Jascha Leven seinen langsamen Rückzug aus der Tattoo-Branche verkündet. Er habe „die letzten Monate viel darüber nachgedacht, beruflich mal in eine andere Richtung zu gehen“. Nach fast 15 Jahren in diesem Business wird’s für ihn Zeit, „die Reißleine zu ziehen“. Diese klaren Worte waren Grund genug für uns einmal nach seinen genauen Beweggründen zu fragen.

Hi, Jascha. Danke, dass du uns eine Fragen zu deinem Rückzug aus der Branche beantwortest! Du hast geschrieben, dass dich das Tätowieren in den letzten Jahren immer mehr gestresst hat. Kannst du genauer beschreiben, welche Aspekte für dich besonders belastend waren?

Jascha: Naja, hauptsächlich Instagram. Man muss sich gefühlt ein Bein ausreißen, um dort überhaupt irgendwas zu bewegen. So richtig durchblicken tut da auch keiner. Nicht umsonst sind Agenturen wie Pilze aus dem Boden geschossen, um Profile zu managen.

Social Media und der Druck durch Algorithmen spielen also eine große Rolle in deiner Entscheidung. Hast du das Gefühl, dass sich die Tattoo-Branche in dieser Hinsicht verändert hat?

Jascha: Social Media hat in den letzten zehn Jahren einen riesigen Stellenwert in der Branche eingenommen. Ohne Klicks keine Reichweite, ohne Reichweite keine Kundschaft. Das Profil zu pflegen ist mittlerweile ein Fulltime-Job – Reels drehen, schneiden, Interaktionen… Wenn man nicht mitmacht, sehen es selbst die eigenen Follower nicht. Das nervt einfach nur noch. Ich will einfach tätowieren und mich nicht zum Hampelmann machen. Ich habe das Gefühl, dass es gar nicht mehr wichtig ist, ob man gute, solide Arbeit leistet. Hauptsache, man hat Reichweite – das zählt für viele mittlerweile mehr. Fast wie ein Statussymbol.

Gab es einen bestimmten Moment oder eine bestimmte Erfahrung, die dir klar gemacht hat, dass du eine Veränderung brauchst?

Jascha: Es hat nicht von heute auf morgen angefangen, aber ich würde sagen, vor zwei oder drei Jahren ging es los. Da wurde Instagram zu einer absoluten Shitshow, und genau da fing der Frust an. Warum noch Designs entwerfen und hochladen, wenn es eh keiner sieht? Das ist einfach nur frustrierend.

Wie sah dein Alltag als Tätowierer früher aus und wie hat sich das in den letzten Jahren verändert?

Jascha: Ich habe in verschiedenen Shops gearbeitet, darunter auch Streetshops mit Walk-ins – und im Nachhinein betrachtet waren das meine besten Jahre. Es war spannend: Was kommt heute rein? Kommt überhaupt was rein? Gute Zeit mit den Kolleg*innen. Jetzt ist es, wie gesagt, teilweise einfach nur noch ein Bürojob: Wann lade ich was hoch? Wie lade ich es hoch? Wen tagge ich? Es ist einfach nur noch lächerlich.

Was hat dich am Tätowieren immer am meisten begeistert und welche Aspekte haben sich über die Jahre vielleicht abgenutzt?

Jascha: Am meisten hat mich immer der Prozess an sich begeistert – wenn ich ein solides Tattoo gestochen habe und die Kund*innen eine gute Zeit hatten. Ich habe auch gerne einfach so für mich Designs entworfen. Aber mittlerweile macht mir das keinen Spaß mehr, denn sind wir mal ehrlich: Jeder will ein bisschen Anerkennung für seine Arbeit. Und die ist mittlerweile so gering… warum also noch Mühe reinstecken? Aber vielleicht finden die Leute mein Zeug ja auch einfach scheiße, haha.

Jascha Leven vor seinen Tattoo-Motiven und Prints
Jascha Leven vor seinen Tattoo-Motiven und Prints

Wie lange hast du darüber nachgedacht, diesen Schritt zu gehen? Gab es Momente des Zweifelns oder der Unsicherheit?

Jascha: Das erste Mal kam mir vor einem Jahr der Gedanke, etwas zu ändern. Aber dann dachte ich: „Nee, kannst jetzt nicht einfach 15 Jahre an die Wand fahren.“ Trotzdem kam der Gedanke immer öfter, und ich habe gemerkt, dass er mir ein wenig Last nimmt. Also habe ich mich immer mehr damit auseinandergesetzt, mit meiner Freundin darüber geredet – sie unterstützt mich da total. Also war’s irgendwann klar: Jetzt oder nie. Denn sooo jung bin ich auch nicht mehr.

Viele in der Branche sprechen über ein rückläufiges Interesse an Tattoos. Hast du das auch so wahrgenommen oder spielen für dich eher persönliche Gründe eine Rolle?

Jascha: Ja, klar, man merkt das. Ich denke, es liegt zum einen an der Wirtschaftslage – die Leute arbeiten nur noch, um ihre Fixkosten zu decken. Tätowieren ist Luxus, das braucht niemand wirklich. Zum anderen ist der Markt einfach komplett übersättigt. Meine letzten drei Kunden? Ein Sozialarbeiter, ein Tramfahrer bei der BVG und eine Studentin – und alle tätowieren nebenbei. Wie sagt man so schön? Viele Köche verderben den Brei. Und manche hauen Preise raus, da fällt man echt vom Glauben ab.

Wie hast du dich auf deine neue berufliche Richtung vorbereitet? War es eine spontane Entscheidung oder ein längerer Prozess?

Jascha: Ich hab mir einfach YouTube-Videos angeschaut, haha, und dann ein Praktikum gemacht – fand’s direkt ziemlich cool.

Kannst du etwas über deinen neuen Job verraten? Gibt es Parallelen zur Tattoo-Kunst oder ist es etwas völlig anderes?

Jascha: Was genau ich jetzt mache, will ich nicht verraten, aber es hat nicht wirklich etwas mit dem Tätowieren zu tun.

Was würdest du jungen Tätowierer*innen raten, die jetzt in die Branche einsteigen und vielleicht mit ähnlichen Herausforderungen kämpfen?

Jascha: Ich würde ehrlich gesagt erstmal davon abraten. Wenn sich jemand aber wirklich voll reinhängt, nach Instagrams Pfeife tanzt und einen Hype um sich selbst aufbauen kann, dann kann es funktionieren. Ansonsten: Macht nicht denselben Fehler wie ich und startet direkt nach dem Abi mit dem Tätowieren. Lernt erstmal was anderes, falls der Plan in die Hose geht.

Siehst du deine Entscheidung als langsamen finalen Abschied von der Branche oder denkst du an eine mögliche Rückkehr zu einem späteren Zeitpunkt?

Jascha: Alles ist möglich. Wie gesagt, ganz weg werde ich nicht sein. Wenn die Leute mein Zeug mögen, komme ich vielleicht irgendwann komplett zurück.

Wenn du einen Wunsch für die Zukunft der Tattoo-Szene frei hättest – was würdest du dir wünschen?

Jascha: Dass Tätowieren wieder unbeschwert wird, und kein hustle.

Wir danken Jascha für das Interview und seine offenen Worte.

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