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Gina Nicolini (@gini.eat.world), auf Instagram unterwegs als @gini.eat.world, ist Jahrgang 1988 und lebt als Journalistin und Kreative in Berlin. Wir haben uns mit ihr unter anderem über ihr erstes Tattoo unterhalten und warum es wichtig ist, sich nicht unter jedermanns Nadel zu begeben, sondern auf sein Bauchgefühl zu vertrauen und auch mal nein zu sagen.
Mein erstes Tattoo habe ich mit 19 bekommen, als ich aus meiner ersten stationären Therapie entlassen wurde. Das Tattoo sollte eine Art Wegmarkierung nach der Therapie sein und mich immer daran erinnern, was ich alles geschafft habe. Das Motiv ist eine Schleife auf meinem Rücken über meinem Hintern – also die klassische “Arschgeweih” Position – in der “Love”, “Truth” “Beauty” und “Freedom” stehen. Fotos gibt es davon keine, denn ich mag es mittlerweile überhaupt nicht.
Vor allem, weil ich durch eine echt uncoole Aktion zu diesem Motiv gekommen bin: Ich habe auf Google Bildersuche eine Vorlage für das Motiv gesucht und habe ein Tattoo von jemand anderem gefunden, das ich schön fand. Damit bin ich dann zu meinem damaligen Tätowierer und der hat mir das, so wie es war, gestochen. Mir war überhaupt nicht klar, dass es ein totales No-Go ist, einfach das Tattoo von jemand anderem zu kopieren. Und dem Tätowierer war es auch egal. Die Retoure habe ich jetzt: Es sieht schrecklich aus und ich finde niemanden, der es covern kann/will…
Das weiß ich ehrlich gesagt gar nicht mehr, da es schon fast 12 Jahre her ist. Ich erinnere mich daran, dass die anderen Tätowierer im Studio leider furchtbar unfreundlich waren und mich sehr eingeschüchtert haben, als ich dort zum Termin ausmachen erschienen bin. Ich hatte noch keine Ahnung, wie das Ganze ablaufen würde und hätte mir etwas mehr Aufmerksamkeit und Freundlichkeit gewünscht. Der Shop selbst war auch nicht wirklich das gelbe vom Ei.
Was aber definitive hätte passieren müssen, ist, dass mein Tätowierer mir gesagt hätte, dass wir nicht einfach das Motiv von einer anderen Person nachmachen können. Genau so hätte ich gerne gewusst, dass ich mir nicht alles gefallen lassen muss, was in einem Tattoostudio passiert. Dass Unfreundlichkeit seitens der Mitarbeiter nicht “cool” ist sondern unpassend und dass ich jederzeit die Möglichkeit habe, zu gehen. Auch bei Conventions.
Natürlich habe ich selbst aber auch schon Mist gebaut, indem ich vorm Tätowieren nicht ausgeschlafen war und nichts gegessen hatte. Außerdem habe ich auch mal aus Angst vor der Stelle ziemlich starke Schmerzmittel genommen und mich dann stundenlang übergeben müssen. Kann ich also auch nur von abraten.
Zum Glück gibt es tolle Studios mit verantwortungsbewussten Artists, die sich mit ihren Kund*innen hinsetzen und sich Zeit für sie nehmen, die sauber arbeiten und die menschlich einfach cool sind. Da kann ich nur immer wieder das Erntezeit in Berlin hervorheben, beste Menschen, schönster Shop.
Viele Tattoos, die danach kamen, habe ich mir über teilweise große und tiefe Narben stechen lassen, um diese etwas zu kaschieren. Tatsächlich sind die meisten Tattoos aber einfach Deko. Ich mag mich lieber, je mehr Tattoos ich habe, und ich fühle mich stetig wohler in meinem Körper.
Und zu meinen No-Gos… Also ich würde mir keine Motive stechen lassen, die in einer anderen Kultur oder Religion heilig sind. Das finde ich respektlos. Außerdem würde ich mir zum Beispiel keine Native Americans mit Kopfschmuck etc. stechen lassen, da die Fetischisierung dieser Frauen einfach gar nicht geht. Wer mir sagen will, so ein Tattoo stehe für Stärke oder was auch immer, hat sich wirklich noch nie mit etwas anderem außer sich selbst beschäftigt. Auch alles Maori-mäßige ist für mich ein No-Go.
Was Körperstellen angeht, habe ich ehrlich gesagt keine Tabus. Ich würde mir jetzt nicht das Gesicht komplett zutätowieren lassen, aber generell bin ich auch kleineren Gesichtstattoos gegenüber offen.
Wie gesagt, die Schleife hätte so nicht sein müssen. Aber das einzige Tattoo, das ich wirklich bereue, ist das Partnertattoo mit meinem Exfreund. Wir haben uns in einem gemeinsamen Urlaub einen Anker aufs Handgelenk stechen lassen (ja ja ja, ich weiß ). Meins habe ich direkt nach der Trennung gecovert. Also sind Partnertattoos für mich persönlich auch ein klares No-Go.
Ich liebe fast alle meine Tattoos. Mein Chestpiece von Sarah Herzdame ist der Wahnsinn und ich werde oft darauf angesprochen. Besonders aber mag ich die Pfingstrose auf meinem rechten Oberschenkel, die ich mir in Köln von Phil Kaulen habe stechen lassen. Sie ist aus einem Gemälde von Jana Brike: Gardener and The Centre of The Universe. Zwar provoziert das Motiv als Tätowierung, aber ich liebe ihre Bilder – sie sind so stark und ausdrucksvoll.
Von Christoph Aribert (Erntezeit, Berlin) möchte ich unbedingt ein Battle Royal Tattoo auf die Rückseite meines Oberschenkels stechen lassen. Und einmal von Tony Bluearms aus Oslo tätowiert zu werden, ist der Tattoo-Traum.
Manchmal ärgere ich mich, dass ich in bestimmten Kleidungsstücken einfach völlig beknackt aussehe, weil das in Kombination mit den Tattoos viel zu überladen ist. Aber sonst eigentlich nicht.
Ansonsten nervt mich, dass ich ständig – besonders von Männern – wegen meiner Tattoos angesprochen werde. Sei es als “nett gemeintes” Kompliment, als plumpe Anmache oder als Vorlage, mich dabei sofort anzufassen. Vor ein paar Wochen habe ich in einer Bar dann mal die Nerven verloren und den Typen vor versammelter Mannschaft komplett zusammengeschrien.
Vor allem untätowierte Männer scheinen häufig zu denken, dass tätowierte Frauen eine Art Streichelzoo auf zwei Beinen sind, wo man einfach mal anfassen kann, wenn man will. Meine Freundinnen, die tätowiert sind, machen oft ähnliche Erfahrungen. Ich habe auch in Datingsituationen schon oft unterstellt bekommen, dass ich ja sicher richtig wild und sexy wäre, mit den blonden Haaren und den vielen Tattoos. Was soll sowas?
Ehrlich gesagt ist mir die Darstellung in den Medien ziemlich egal. Wenn in RTL2-Sendungen alle stark tätowiert sind und das in ein bestimmtes Bild integrieren, das sie von sich zeichnen möchten, ist das ihre Sache. Mir ist es auch egal, was andere Leute über Tätowierungen, Tätowierte oder mich persönlich denken. Wer so engstirnig ist und denkt, dass Tattoos einen Rückschluss auf Intelligenz, Persönlichkeit etc erlauben, dem kann ich auch nicht helfen. Ich würde mir viel mehr von den Mainstream-Medien wünschen, dass auch mal tätowierte Journalistinnen, Anwälte, Ärztinnen etc gezeigt werden.
Was ich nicht mag, ist dass weibliche Tattoo Artists oft in eine super sexualisierte Rolle gedrängt werden, oder ihnen unterstellt wird, sie wären nur erfolgreich, weil sie hübsch sind. Es gibt Bilder im Internet von Frauen, die im BH (??!!!) tätowieren, und die Kundin ist ebenfalls halbnackt. Frauen werden in unserer Gesellschaft ja leider oft zu konsumierbaren Objekten degradiert – wieso sollte das in der Tattooszene anders sein? Damit will ich nicht sagen, dass zum Beispiel die Models aus der Tattoo Erotica Szene oder bei den Suicide Girls das nicht gerne machen und ich supporte jede Frau, die sich dadurch empowert oder schön oder stark fühlt.
Tattoos können Kunst sein. Es gibt wirklich beeindruckende Werke und ich finde es schade, wie unterrepräsentiert Tattoos im Kunstdiskurs sind. Ich sehe Tätowieren aber in erster Linie als Dienstleistung und als Handwerk. Wenn Tätowierer sich benehmen, als wären sie Gottes Geschenk an die Menschheit, nichts anpassen wollen an ihren Motiven und die Kund*innen schlecht behandeln, bin ich raus – Kunst hin oder her.
Danke auch an euch!
Gina Nicolini trägt unter anderem Kunstwerke von Sarah Herzdame, Magda Hanke, Lucas Wagner, Jakub Settgast, Jens Seemann, Thierry Urbany, Thomas Burkhardt, Tomi Zlott, cloditta, Phil Kaulen, Clemens Hahn, Jesper Jorgensen, Electric Martina, Eli Quinters, Friedrich Übler, Marcel Birkenhauer, Seb Winter und Amy Savage.