Sinah Ra

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Sinah Ra (@sinah_ra), Jahrgang 1993, ist Tätowiererin und wohnt in Berlin. Auch wenn Tattoos für sie mittlerweile zu ihrem Alltag und Job gehören, ist sie alles andere als gelangweilt vom Thema. So beschäftigt sie sich auch in ihrer Freizeit, abgesehen vom Vorbereiten neuer Motive, häufig mit dem Themen der Tattoowelt. Für sie sind Tätowierungen einfach etwas Schönes, womit sie ihren Körper nach ihrem Belieben gestalten kann. Heute spricht sie unter anderem mit uns über ihre Tattoos und was für Erfahrungen sie als tätowierte Frau so gemacht hat, aber lest selbst!

Sinah Ra
Foto: Amelie, instagram.com/bastibastiapparel

Hey, Sinah! Fangen wir einfach mal ganz vorne an: Dein erstes Tattoo, erzähl uns doch mal davon!

Also mein erstes Tattoo habe ich mit 19 Jahren von Kija Brink bekommen. Ich kannte sie vorher schon von Empfehlungen und war auch total überzeugt von ihrer Arbeit. Mit dem Ergebnis war ich damals schon super happy und bin es heute immer noch. Nur leider sehe ich es kaum, weil die Zeilen ‚hope dies last‘ unter meinem Nacken auf dem Rücken stehen.

Sinah Ra
Sinah’s erstes Tattoo: Der Schriftzug „Hope dies last“ von Kija Brink

Geliebte Tattoos, die man selbst fast nie sieht – das Problem kennen hier wohl viele, haha. Aber wie lief dein erster Termin bei Kija denn so ab?

Ich hab mich an alles gehalten, war ausgeschlafen und habe vorher gut gegessen, vorher keinen Alkohol oder Kaffee (da scheiden sich die Geister) getrunken und keine Kopfschmerztablette genommen. Also alles was vermeintlich blutverdünnend sein kann, hab ich weggelassen.

Bis heute nehme ich Tattootermine und gute Vorbereitung wirklich ernst. Deshalb bin ich immer wieder verwundert wie „leichtsinnig“ einige mit ihrem Körper umgehen und am Ende furchtbar leiden, weil sie die Nacht durchgemacht oder einen Kater haben. Außerdem war ich total aufgeregt, unter anderem weil ich Kija einfach super cool fand (und natürlich immer noch finde). Damals hatte sie noch abwechselnd bunte Haare und war für mich eine Vorbild-Tätowiererin – hübsch und talentiert. Dabei ist sie trotzdem einfach so lieb, dass ich mich schon damals sofort bei ihr wohlgefühlt habe. Der Schmerz war natürlich schon unangenehm, danach war ich aber unheimlich stolz nun tätowiert zu sein.

Bei so lieben Worten klingt es wirklich, als wäre Kija für dich die perfekte Wahl gewesen! Was würdest du denn nun anderen für Tipps vor ihrem ersten Tattoo geben, damit sie ähnlich viel Glück haben können?

Sucht eure*n Tätowierer*in auf jeden Fall nach Empfehlung aus. Am besten ist es, wenn ihr die Tattoos schon mal in echt und abgeheilt bei Freunden gesehen habt. Startet auf keinen Fall, bevor ihr 18 seid, denn die meisten guten Tätowierer*innen tätowieren euch dann auch mit Mami-Zettel nicht. Außerdem, auch wenn man glaubt erwachsen zu sein und denkt man würde seine Freunde, seinen Schatz und die aktuelle Lieblingsband für immer toll zu finden – glaubt mir, das ist nicht so. Nur weil es mit 18 erlaubt ist, heißt es nicht, dass man auch die Reife besitzt sich tätowieren zu lassen. Das erste Motiv sollte auch kein Trend sein und am besten erstmal an einer nicht so permanent sichtbaren Stelle.

Das klingt so schön vernünftig, wie wir es wohl alle gerne wären :D. Hast du denn vielleicht auch noch Ratschläge zum Thema Pflege?

Bei der Pflege habe ich immer auf den Tätowierer, bei dem ich gerade war, gehört. Das ist auch ziemlich witzig gewesen, weil ich dadurch sämtliche verschiedene Anleitungen bekommen habe. Am liebsten lasse ich meine Tätowierung mittlerweile aber nach der ersten Reinigung komplett frei, was natürlich nicht immer möglich ist.

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Foto: Amelie, instagram.com/bastibastiapparel

Tipps von verschiedenen Tätowierer*innen sammeln und für sich dann das beste draus zusammenbasteln – klingt nach nem guten Plan. Ein anderes Thema, das immer wieder Fragen aufwirft sind Tattoo Conventions. Hast du dich schon mal auf einer tätowieren lassen und wenn ja, wie hast du das so insgesamt empfunden?

Ich habe mich schon zweimal auf einer Tattoo Convention tätowieren lassen. Einmal ganz spontan mit 21 am Hals – bis heute liebe ich es, aber es hätte auch echt in die Hose gehen können. Zwar wusste ich dass der Tätowierer (Sebastian Reschke) gut ist, aber die Stelle ist so spontan schon sehr gewagt. Ich würde fast behaupten, gerade damals war es eine der „mutigsten“ Stellen. Da war es auch noch nicht so gängig und „normal“ sich im Gesicht tätowieren zu lassen. Aber ich bin damals mit der Einstellung rangegangen „Ich werde eh Tätowiererin“, wobei das da echt noch in den Sternen stand.

Abgesehen von dieser kleinen Rebellion war ich sofort in das Motiv verliebt und dachte, keine Stelle würde besser passen als mein Hals. Deshalb habe ich es wohl bis heute nicht bereut, wobei es eine Zeit gab, in der ich mich frage, wie es wohl wäre, wenn ich Menschen ohne sichtbare Tattoos entgegentreten könnte. Das ist nun sein fast fünf Jahren nur noch im Winter der Fall.

Aber zurück zur Convention: Es war eng und unbequem, was bei einem Tattoo am Hals aber kaum vermeidbar war. Ich lag in Embrionalstellung auf der Liege und habe schon bevor es losging rechts und links von anderen Tätowierern mitleidvolle Blicke zugeworfen bekommen. Aber ich war so voller Adrenalin, dass ich es kaum erwarten konnte! Zum Ende hin wurde es aber doch ziemlich hart, vom Nacken bis zum Kehlkopf ist es wie eine aufsteigende Schmerzskala. Je näher es Richtung Kehlkopf ging, war es eine starke 9/10.

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Sinah’s Rose am Hals von Sebastian Reschke

Im Studio ist es mir definitiv lieber tätowiert zu werden, aber die Zuschauer auf der Convention haben mich nicht wirklich gestört. Wenn’s losgeht hat man eh andere Probleme. Mein Problem war damals eher, dass Callejon gerade gespielt haben, als ich tätowiert wurde. Dafür hat meine Schwester mir aber noch Autogramme besorgt, um mich aufzuheitern. Heute sieht man mein Hals-Tattoo zum Teil auf Shootingfotos von mir für das Modelabel „Basti Basti Apparel“ des Sängers von Callejon. Das ist dann wohl eine Art Tattooception – so klein ist die Welt!

Ja, das ist wirklich ein witziger Zufall! Auf der Convention hast du also ein glückliches Händchen gehabt. Sieht das bei dir denn immer so aus, oder hattest du auch mal Pech mit deinem Tätowierer?

Ich war mal so dumm auf Empfehlung zu einer „Privat-Tätowiererin“ zu gehen. Da mag ich nicht zu lange drüber nachdenken, aber es war wie es im „Schlechte-Erfahrungen-Buche“ stehen müsste. Hygiene – was ist das? Das Ergebnis – schon gecovert. Tut sowas wirklich niemals, nie, nie, nie! Wenn die Tattoos, die ihr seht nur „okay“ sind, dann werden sie bei euch nicht plötzlich gut sein. Wahrscheinlich sogar schlechter.

Das ist natürlich nicht zu verwechseln mit Azubis, die im besten Fall gute Lehrmeister im Nacken und Respekt vor dem Tätowieren haben. Damals hab ich dann voller Scham Kija gefragt, ob sie so schnell es geht einen Termin frei hat, um es zu covern. Außerdem folgten ein paar schlaflose Nächte, in denen ich überlegt habe, was man nur darüber machen kann. Letztendlich sind es Rosen geworden. Monate später habe ich genau diese „Tätowiererin“ dann auf einer Proberaum Party gesehen und sie so gut es ging ignoriert.

Ohje, aber zum Glück hast du dir dort nichts Schlimmeres als ein schlechtes Tattoo eingefangen. Das ist in so einer Situation ja schon Glück im Unglück. Aber bei schönen Tattoos, die man so an dir sieht, war das wohl echt eine Ausnahme. Welches deiner Tattoo magst du denn am meisten?

Ich habe viele Tattoos, die ich sehr gerne habe. Rein optisch gefällt mir meine „Treppe“ von Marvin Diekmännken wohl am besten. Ein richtiges „Ist das Glas halbvoll oder halbleer“-Motiv. Für mich ist es wie ein Turm, an dem oben ein Fenster mit Licht ist. Einige fragen mich, warum ich eine Kellertreppe tätowiert habe, aber für mich ist es eher das Gegenteil. Vorher habe ich auch schon ähnliche Motive bei Marvin gesehen und finde es einfach richtig schön, auch den Abschluss mit dem Spinnennetz.

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Treppe mit Spinnennetz von Marvin Diekmännken

Mein Rotkäppchen mit dem Wolf auf dem Kopf ist wohl das Tattoo mit der tiefsten Bedeutung, die ich nur selten mal erläutere. Die Idee dahinter war, dass Rotkäppchen und der Wolf in Koexistenz leben. Beide sind lebendig, aber Rotkäppchen hat die Kontrolle und trägt den Wolf bewusst wie ein Accessoire. Der Wolf symbolisiert für mich dabei eine Krankheit. Heute haben ich kaum noch Berührungspunkte mit der damaligen Diagnose, dafür hat das Tattoo aber dennoch erfüllt, was ich mir erhofft habe. Ich wusste, wenn ich die Stelle tätowiert haben möchte, müssen die Narben gut ein Jahr verheilt sein. Und auch danach habe ich mich nie wieder selbst verletzt. Seitdem wurde ich kaum noch auf die Narben angesprochen und auch endlich nicht mehr darauf reduziert. Das hat mir wirklich eine große Last von den Schultern genommen. Als Tätowierer habe ich dafür damals Cedric Weber gewählt, weil ich seine Frauengesichter so schön fand.

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Rotkäppchen und der Wolf von Cedric Weber

Mein neustes Tattoo war für meinen Opa, ein Raabe mit Ölfläschchen von der lieben Kija. Da war es besonders toll, das von jemandem zu bekommen, den ich gern habe und voll vertrauen kann.

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Raabe mit Olfläschchen von Kija Brink

Wie weit musstest du denn bisher immer so für deine Tattoos reisen?

Bisher war das weiteste von Berlin nach Bielefeld (Halunken, Marvin Dieckmaenken) , oder Hamburg (Tobias Tietchen) . Aber das sind für mich Katzensprünge. Vielleicht aber auch weil NRW meine Heimat ist und Hamburg meine Wunschheimat. Ich glaube Richtung München würde wehtun, einfach weil mich die Stadt auch gar nicht reizt. Sonst habe ich eigentlich immer gerne einen Grund zu reisen.

Ja, so ein Grund zum Reisen ist doch eigentlich ganz schön! Weniger schön dagegen (mega Überleitung) sind Copycats und kopierte Tattoos, oder was meinst du?

Sich absichtlich ein Tattoo gleich stechen zu lassen, geschieht meist aus Unwissenheit der Kund*innen. Eigentlich sollte der Tätowierer sich ganz klar dagegen aussprechen. Sich ein Freundschaftstattoo mit der ganzen Pinterest und Google Community zu teilen, sollte nicht das Ziel für dein eigenes Tattoo sein.

Klare Worte, aber als Tätowiererin eben auch notwendig. Hast du eigentlich mal eines deiner Tattoos bereut?

Ich bereue generell ungern, aber das mittlerweile gecoverte Tattoo hätte ich doch gerne ungeschehen gemacht. Außerdem sollte man sich wohl generell nicht unbedingt das, was gerade so im Trend ist, tätowieren lassen.

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Foto: Amelie, instagram.com/bastibastiapparel

Da ist wohl was Wahres dran. Wie hat denn eigentlich deine Familie auf deine Tattoos reagiert?

Hach, meine Eltern fanden es anfangs ganz furchtbar. Aber bis auf ein paar Sprüchen und drei Tage Schweigen, als ich meinen Hals tätowieren lassen habe, kamen sie gut damit klar. Bemerkungen bezüglich der Zukunft und Auftreten in der Gesellschaft sind auch nur verständliche Ängste von Eltern bzw. Großeltern, die sich Sorgen machen. In meiner Familie ist kaum jemand tätowiert und bis vor anderthalb Jahren war es nicht mal meine Zwillingsschwester.

Und gab es generell unangenehme Erlebnisse hinsichtlich deiner Tattoos?

Ich war zu Anfangs oft sehr unsicher und habe auch ein Tattoo, das nicht so geworden ist, wie ich es wollte. Oder die Platzierung hat mir nicht gefallen. Man sollte sich als Kunde immer das Recht einräumen, bei allem Respekt und Vertrauen dem Tätowierer gegenüber, seine Wünsche zu äußern. Traut euch, danach ist es zu spät.

Das ist allerdings wichtig – und viele traue sich in dem Moment nicht etwas zu sagen. Eine andere Sache: Es gibt ja diese typischen Klischees, gerade tätowierten Frauen gegenüber. Siehst du dich häufig mit solchen Vorurteilen konfrontiert?

Sensibles Thema. Vor allem, weil ich selbst eher ruhig und langweilig bin, nerven mich besonders diese wilden Gedanken von tätowierten Frauen auf sexistischer Ebene. Oft habe ich auch das Gefühl, dass Typen es cool finden „eine Tätowierte“ zu daten – gerade, wenn sie selbst untätowiert sind. Und etliche Cat Calling Angriffe wie „Geile Tattoos“ oder „Was bedeutet das?“ – von völlig Fremden. Ganz schlimm ist es aber, wenn sie einen dann noch anfassen oder sogar nach deinem Arm greifen. Absolut grenzüberschreitend und anmaßend. Lasst euch das nicht gefallen, es ist nie okay. Rufe kann man noch ignorieren, aber Berühren ist Belästigung, ob mit oder ohne Farbe unter der Haut.

Ansonsten habe ich mal von der Bekannten einer Freundin die freche Frage gestellt bekommen, ob ich Abitur hätte. Das lief wie folgt ab: „Du hast aber kein Abitur, oder?“- „Ehm, doch. Wieso?“ – „Weil du nicht so aussiehst.“ Verstehe diese Dreistigkeit bis heute nicht.

Sinah Ra
Foto: Amelie, instagram.com/bastibastiapparel

Wow, das ist tatsächlich sehr dreist. Meinst du denn die Darstellung tätowierter Menschen in den Medien hilft dabei?

Ich mag dieses „Sexy tätowierte Frau“-Phänomen nicht. Das sieht man ständig. Am besten noch touchy mit einer anderen Frau im Bikini oder rechts und links von einem starken, schlecht tätowierten Typen. Gerne auch als Plakat für eine Tattoo Convention. Furchtbar.

Solche Plakate finden wir auch eher abschreckend, aber solche Conventions suchen sich ihre Zielgruppe damit natürlich auch aus. Schade eigentlich. So langsam kommen wir aber auch zum Ende und stellen dir zum Abschluss noch die Standard-Frage: Sind Tattoos für dich Kunst?

Ich würde nicht jedes Tattoo als Kunst bezeichnen. Manchmal ist das Ergebnis einfach nur gutes Handwerk. Kunst bedeutet für mich, über Regeln hinaus einen Weg zu finden, Gedanken, Ideen und Gefühle für sich und/oder andere auf Papier zu bringen.

Stimmt, zwischen Kunst und Handwerk kann man wohl ganz gut trennen. War auf jeden Fall wie immer schön mit dir, liebe Sinah! Danke, dass du dir die Zeit genommen hast und Feelfarbig unterstützt!

Immer wieder gerne! Ich finde euer Magazin und eure Beiträge super und freue mich, ein Teil davon sein zu können.

Sinah Ra trägt Kunstwerke von Kija Brink, Danny Brink, Marvin Diekmännken, Tobias Tietchen, Cedric Weber, Sebastian Reschke und Friedrich Übler

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