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Tätowierungen in der DDR sind bisher nur oberflächlich untersucht worden. Für eine geschichtswissenschaftliche Studie zum Thema sucht der angehende Historiker Marcus Schäfer Zeitzeug*innen, die ihre Geschichte erzählen und diese Arbeit unterstützen möchten.
Tätowierungen sind in Deutschland mittlerweile sehr populär. So populär, dass man manchmal beinahe vergisst, wie verpönt sie an diesem oder jenem Ort in der Vergangenheit waren. Hast du beispielsweise gewusst, dass die Tätowierung in der DDR eine geradezu verhasste Ausdrucksform war? Sowohl Staat als auch Teile der Gesellschaft lehnten sie rigoros ab.
Das galt für Tätowierungen im Allgemeinen und für gegen das System gerichtete Motive im Besonderen. Das Tattoo-Handwerk galt keineswegs als Kunstform. Stattdessen wurden Tattoos und ihre Träger*innen als „asozial“ gebrandmarkt. Für den SED-Staat galten Tätowierte generell als Verbrecher*innen und Regimegegner*innen, völlig unabhängig vom Motiv in der Haut.
Die Historikerin Karin Hartewig beschreibt in dem von ihr mitherausgegebenem Buch „Die DDR im Bild. Zum Gebrauch der Fotografie im anderen deutschen Staat“, dass Tätowierungen als „Beweise für die Zugehörigkeit zu einer Gegenwelt“ galten, als Symbolik für einen selbstverschuldeten Ausschluss aus der sozialistischen Gesellschaft. Die Träger*innen der Tätowierung galten dementsprechend als für den Sozialismus unerreichbar.
“Kriminelle und primitive Menschen”
Wenn in der DDR überhaupt öffentlich von Tätowierungen gesprochen wurde, dann beinahe ausschließlich in einem negativen Kontext. Auch in Zeitungen traten sie meist im Zusammenhang mit flüchtigen Kriminellen, Rowdys, Blutgruppentätowierungen von ehemaligen SS-Angehörigen oder auch der Beschreibung vermeintlich „primitiver“ oder „exotischer Völker“ auf. Auch das wenige an DDR-Fachliteratur zum Thema ist kaum erfreulich:
„Sich tätowieren zu lassen ist heute, von wenigen Ausnahmen abgesehen, reiner Nachahmungstrieb, Erinnerung, Neugierde, übersteigertes Geltungsbedürfnis, Zeichen für Andersseinwollen, für Außenseiter. Nicht selten spielen der Alkohol und die dadurch verlorene Selbstkontrolle eine Rolle.“ (Peter Gerds, Anker, Kreuz und flammend Herz, 1988, S. 64)
Wie nicht selten in der Geschichte sind solche Darstellungen vorurteilsbelastete Fremdbeschreibungen von Nicht-Tätowierten, die Tätowierten bestimmte abwertende Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen andichten. In der Geschichte und bis in die Gegenwart hinein lassen sich solche Stigmatisierungsprozesse beobachten.
Bisher kaum Untersuchungen
Da es nur wenige Quellen gibt, in denen DDR-Tätowierte oder -Tätowierende über sich und ihre Kunst sprechen, besteht hier immer noch eine bedauerliche Leerstelle. Diese Lücke ist schwer zu füllen, da es in der DDR schon bald keine professionellen Studios mehr gab, von einer öffentlichen Kultur oder aufkeimenden Szene ganz zu schweigen. Und doch gab es hier und dort Menschen, die tätowierten und Menschen, die sich tätowieren ließen. Und genau diese möchte Marcus Schäfer nun zusammen mit Feelfarbig finden.
Da sich bisher noch niemand intensiv und vor allem vorurteilsbefreit mit diesem spannenden Thema beschäftigt hat, startete Marcus an der Freien Universität Berlin ein geschichtswissenschaftliches Forschungsprojekt, um die Tätowierung in der DDR in aller Ausführlichkeit zu untersuchen. Hierfür sucht er Zeitzeug*innen, die tätowiert haben und/oder tätowiert wurden und gerne ihre Geschichte erzählen und somit einen wichtigen Beitrag zur Geschichtswissenschaft leisten möchten.
Wir brauchen deine Hilfe!
Wer hat sich in der DDR tätowieren lassen, obwohl doch bekannt war, dass man sich damit selbst ins gesellschaftliche Abseits bringen konnte? Wurde tatsächlich beinahe ausschließlich im Gefängnis tätowiert? Bist du jemand, der in der DDR tätowiert hat oder tätowiert wurde? Hättest du Interesse daran, an der Aufarbeitung dieses spannenden Teils der Geschichte teilzunehmen? Dann melde dich gerne direkt bei Marcus. Deine Daten und Erfahrungen sind in seiner Forschungsgruppe in sicheren Händen und können falls gewünscht auch anonymisiert ausgewertet werden.
Wichtig: Gesucht wird kein bestimmter Menschentypus. Alle, die in der DDR etwas mit Tätowierungen zu tun hatten, sind herzlich eingeladen. Dazu gehört der DDR-Seemann, der sich auf hoher See oder in einem fremden Hafen hat tätowieren lassen. Dazu gehört auch der auf der heimischen Couch tätowierende Jugendliche. Die tätowierte Punkerin. Der tätowierte Häftling. Die tätowierte Bauarbeiter*in oder der tätowierte Soldat.
In diesem Gespräch soll es völlig vorurteilsbefreit darum gehen, wer du bist. Aus welchem sozialen Milieu du kommst, wie deine Einstellung zum Staat war, wie dein Werdegang in der DDR und auch danach verlief. Marcus möchte gerne erfahren, warum du dich tätowieren lassen hast, warum es dieses oder jenes Motiv geworden ist und wie du tätowiert hast oder tätowiert worden bist. Du darfst alles erzählen, was dir in diesem Zusammenhang wichtig erscheint, musst aber selbstverständlich nicht über unangenehme Aspekte reden.
Kontakt
Wenn du Interesse hast oder Menschen kennst, die Marcus bei seiner Arbeit unterstützen können, melde dich bitte direkt bei ihm:
Marcus Schäfer
Tel. 0176/57907112
marcus.schaefer@fu-berlin.de
Über Marcus Schäfer
Marcus Schäfer hat nach einer Ausbildung zum Metallbauer Fachrichtung Konstruktionstechnik die Fächer Geschichte und Filmwissenschaft an der Freien Universität Berlin studiert. Dort absolviert er momentan seinen Master in Public History und arbeitet nebenher am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung im Bereich „Geschichte der Gefühle“.Die Liebe für Tätowierungen kam im 13. Lebensjahr, mit 16 gab es dann das erste Tattoo für ihn. In seinem Studium hat er unter anderem die US-amerikanische Tätowierung aus einer kultur- und körpergeschichtlichen Perspektive heraus untersucht. Nun möchte er sich der deutschen Tattoo-Geschichte widmen und die Szene der ehemaligen DDR untersuchen.
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