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Die mittlerweile als Tattoo-REACH bekannte Verordnung zur Regulierung von Tätowiermitteln wurde bereits im Dezember 2020 beschlossen. Nach dem 4. Januar 2022 müssen Tattoofarben laut dieser Verordnung besondere Anforderungen erfüllen, um weiterhin zum Tätowieren zulässig zu sein. Bereits in einem unserer letzten Beiträge zum Thema haben wir vorsichtig unsere Skepsis bezüglich des bisherigen Vorgehens der Hersteller geäußert. Dabei blieben für uns vor allem die Fragen nach Haftung und möglichen Strafen bei Kauf und Import vermeintlich REACH-konformer Tattoofarben offen.
Um diese und weitere Fragen zu klären, haben wir uns an einen Experten auf diesem Gebiet gewandt. Martin Ahlhaus ist Rechtsanwalt und Partner der Produktkanzlei in Augsburg. Er ist Experte für Fragen des Chemikalien- und Stoffrechts und berät seit über 15 Jahren Unternehmen zahlreicher Branchen bei der Umsetzung entsprechender Projekte im Bereich der Produktkonformität. Er vertritt Unternehmen zudem in entsprechenden behördlichen und gerichtlichen Verfahren auf nationaler und europäischer Ebene.
Wie muss mit “alten”, nicht REACH-konformen Tattoofarben nach dem 4. Januar 2022 verfahren werden? Müssen diese umgehend entsorgt werden oder könnte man sie noch privat nutzen?
Die maßgebliche Beschränkung nach Nr. 75 des Anhangs XVII zur REACH-Verordnung enthält zwei gesonderte Verbote.
Einerseits dürfen betroffene Tattoofarben für Tätowierungszwecke aufgrund der Beschränkung nicht mehr in Verkehr gebracht werden. Das heißt, sie dürfen nicht in die EU eingeführt oder in der Lieferkette abgegeben werden. Andererseits bestimmt die Beschränkung ausdrücklich auch, dass betroffene Tattofarben nach dem 04.01.2022 generell nicht mehr für Tätowierungszwecke verwendet werden dürfen. Damit kommt eine entsprechende Verwendung nicht mehr in Betracht.
Das Verwendungsverbot gilt dabei für alle “Tätowierungszwecke” und zwar unabhängig davon, ob diese gewerblich oder privat erfolgen. Jedes Injizieren oder Einbringen des betroffenen Gemisches in die Haut, die Schleimhaut oder den Augapfel eines Menschen mittels eines beliebigen Verfahrens mit dem Ziel, eine Markierung oder ein Motiv auf dem Körper der Person zu erzeugen, ist damit verboten. Weder die konkrete Beschränkung für die Verwendung von Tattoofarben noch die generelle Definition des Begriffs der Verwendung nach Artikel 3 Nr. 24 REACH nimmt eine private Nutzung von dem Verbot aus.
Vollzugsmaßnahmen der zuständigen Behörden werden zwar vor allem im gewerblichen Bereich ansetzen, von der einer privaten Verwendung betroffener Tattoofarben nach dem 04.01.2022 ist aufgrund des Verbots dennoch abzuraten. Zumal Vollzugsbehörden auch überprüfen können, wie mit etwaigen Restbeständen umgegangen wurde. Soweit anderweitige Nutzungen nicht in Betracht kommen, sollte durch geeignete Nachweise belegt werden können, dass eine Verwendung ausgeschlossen ist (z.B. durch Entsorgungsnachweise).
Was droht, falls man wissentlich oder unwissentlich Tätowierfarben erwirbt und nutzt, die nicht den Anforderungen der REACH entsprechen?
Verstöße gegen Beschränkungen nach Anhang XVII zu REACH werden in Deutschland nach § 5 der Chemikalien-Sanktionsverordnung grundsätzlich als Straftaten mit Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe geahndet.
Allerdings fehlt es bislang an einem konkreten Straftatbestand für die Verwendung betroffener Tattoofarben. Der deutsche Gesetzgeber hat die maßgebliche Verordnung bislang nicht angepasst. Es ist allerdings zu erwarten, dass dies absehbar noch nachjustiert wird. Ein konkreter Zeitrahmen kann hierfür allerdings noch nicht angegeben werden.
Das Fehlen eines Straftatbestandes bedeutet allerdings nicht, dass ein Verstoß gegen das Verbot völlig folgenlos wäre. Zuständige Behörden können zur Einhaltung des Verbots entsprechende Anordnungen erlassen. Wird gegen solche vollziehbaren Anordnungen verstoßen, liegt ebenfalls eine Straftat vor. Auch hier wäre eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder eine Geldstrafe die Folge. Erforderlich ist hier allerdings, dass zunächst eine Behörde das Verbot durch eine entsprechende Anordnung gegenüber einem Unternehmen bzw. Verwender konkretisiert.
Natürlich bleibt auch zu beachten, dass aufgrund der toxikologischen Eigenschaften der betroffenen Tattoofarben potentiell auch Schadensersatzansprüche von Kunden im Raum stehen können, soweit verbotene Farben eingesetzt werden. Um entsprechende Risiken zu vermeiden, sollten Tätowierer nach dem 04.01.2022 nur noch Farben verwenden, die in Einklang mit der Beschränkung ordnungsgemäß gekennzeichnet sind. Dies schon deshalb, da die entsprechenden Angaben gemäß Verpackung oder Gebrauchsanweisung dem Kunden zur Verfügung zu stellen sind.
Wenn ein Verkäufer Zertifikate bereitstellt, die eine REACH-Konformität belegen sollen, inwiefern ist man als Käufer*in dazu verpflichtet, diese zu überprüfen?
Ein Zertifikat des Verkäufers entbindet den Erwerber nicht von einer eigenen Überprüfung. Der Käufer ist als weiterer Vertreiber oder Verwender unmittelbar selbst von der Beschränkung betroffen und muss daher im Ernstfall nachweisen können, dass jedenfalls nicht schuldhaft, d.h. vorsätzlich oder fahrlässig, gegen die Beschränkung verstoßen wurde.
Dazu hat der Käufer zu belegen, dass er mindestens die im Verkehr erforderliche Sorgfalt angewandt hat, um die Einhaltung der Beschränkung sicherzustellen. Die Anforderung einschlägiger Zertifikate oder Bestätigungen des Verkäufers können dabei zwar ein geeignetes Mittel sein, sollten aber ergänzend auf Vertrauenswürdigkeit, Vollständigkeit und Richtigkeit überprüft werden.
Das bedeutet nicht, dass der Käufer die Farben selbst nochmals einer Überprüfung unterziehen muss. Es sollte aber geprüft werden, ob der Verkäufer alle Angaben auf der Verpackung oder in der Gebrauchsanweisung zur Verfügung stellt, die die Erklärung aller betroffenen Stoffe und Gefahreneigenschaften in den Blick nimmt, sich auf alle Inhaltsstoffe bezieht und auch aktuell ist.
Insbesondere hat der Käufer zu beachten, dass die Beschränkung sogenannte dynamische Verweisungen enthält, d.h. künftig auch weitere Stoffe oder Stoffgruppen von der Beschränkung erfasst werden können, soweit sich deren gefahrstoffrechtliche Einstufung ändert. Schon deshalb kann ein Zertifikat nur eine eingeschränkte Gültigkeitsdauer aufweisen.
Einige Tattoofarben werden von Seiten der Hersteller außerhalb der EU (z.B. USA, Schweiz) nun als REACH-konform angeboten. Dabei besteht die Möglichkeit, diese Farben auch in EU-Länder versenden zu lassen. Sollte man als Tätowierer*in nun diese Farben erwerben wollen, reicht als Absicherung bereits die Bezeichnung “REACH-konform” durch den Hersteller?
Nein, eine solche einfache Bezeichnung wird allein nicht ausreichen können.
Einerseits sind ergänzend auch Angaben auf der Verpackung oder in der Gebrauchsanweisung erforderlich, die zudem an Kunden weitergegeben werden müssen. Andererseits sollte der Erwerber bzw. Verwender konkret überprüfen, auf welcher Grundlage die Bezeichnung als “REACH-konform” vorgenommen wurde.
Dabei ist auch zu beachten, dass die Einfuhr aus Ländern außerhalb der EU bereits als Inverkehrbringen gilt und damit der Einführer – dies kann aufgrund der Vorgaben der REACH-Verordnung nur ein Unternehmen mit Sitz in der EU sein, d.h. nicht der Lieferant z.B. in den USA oder der Schweiz – originär selbst für die Einhaltung der Beschränkung verantwortlich ist.
Sollten Farben über einen Europäischen Vertreiber bestellt werden, muss dieser die REACH-Konformität prüfen und ggf. Haftung übernehmen oder trägt hier der Tattoo Artist noch Verantwortung?
Ein Bezug über einen Lieferanten mit Sitz in der EU ist sicherlich empfehlenswert.
Sinnvoll dürfte es darüber hinaus auch sein, durch entsprechende Vertragsgestaltung die Verantwortlichkeit für die Einhaltung der Beschränkung dem Lieferanten aufzuerlegen. Die Gestaltungsmöglichkeiten des einzelnen Tattoo Artists dürften dabei jedoch beschränkt sein.
Es bleibt daher auch in dem Fall eine Überprüfung der Angaben des Lieferanten auf Vertrauenswürdigkeit, Vollständigkeit und Richtigkeit geboten. Mindestens hat der Tattoo Artist sicherzustellen, dass die Angaben auf Verpackung oder in der Gebrauchsanweisung vorliegen und die Kunden ordnungsgemäß informiert werden können.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Tätowierer*innen beim Farbenkauf nun etwas bedachter sein sollten. Wer Farben außerhalb der EU bestellt, ist als Importeuer dafür verantwortlich, die REACH-Konformität zu überprüfen. Daher wäre der Einkauf in einem Shop innerhalb der EU empfehlenswerter. In jedem Fall sollte man die Angaben des Lieferanten sorgfältig überprüfen, um sich bestmöglich abzusichern und sich nicht auf ein einfaches “REACH-konform” in der Werbeanzeige verlassen.
Wir hoffen, dass hiermit nun erstmal die wichtigsten Punkte geklärt sind. An dieser Stelle möchten wir uns außerdem noch einmal herzlich bei Martin Ahlhaus bedanken, der sich die Zeit genommen hat, unsere Fragen kurzfristig so ausführlich zu beantworten.
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