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Stärken Tattoos das Immunsystem?

Im Oktober diesen Jahres wurde ein Forschungsartikel veröffentlicht, der sich mit dem Thema Tattoos und deren Auswirkungen auf das Immunsystem beschäftigt. Durchgeführt wurde die Studie in Amerikanisch-Samoa, einem US-amerikanischen Außengebiet im Südpazifik. Doch warum fiel die Wahl ausgerechnet auf dieses Gebiet? Laut den Autor*innen liegt es daran, dass das großflächige Tätowieren dort sehr gängig ist und seit mehreren Jahrzehnten fester Bestandteil der samoanischen Kultur ist.

Aus vorherigen Studien zogen sie die Vermutung, dass Menschen mit mehr „Tattoo-Erfahrung“ eine verbesserte Immunreaktion haben könnten. Dieser Vermutung wollten sie in ihrer neuen Studie etwas genauer nachgehen. Dabei verglichen sie letztendlich Tattoo-Erfahrung mit herkömmlichen Methoden zur Stärkung des Immunsystems, wie Impfungen oder sportliche Aktivitäten.
Tradition in Amerikanisch-Samoa
Großflächige Tätowierungen stellen seit Jahrzehnten einen wesentlichen Bestandteil der samoanischen Kultur dar. Auserwählte Männer und Frauen erhalten Tattoos zum Beispiel als Zeichen der Verpflichtung gegenüber ihrem Oberhaupt oder der Familie. Dabei sollen diese Tätowierungen sowohl Geist als auch Körper stärken – Führer*innen und Kämpfer*innen schaffen. Daher ist das Tätowieren in dieser Region weit verbreitet und sehr beliebt. Dazu gehören sowohl traditionelle Methoden wie das Tätowieren per Hand („Hand Tapping“) als auch das Arbeiten mit modernen Tattoo-Maschinen.
Stress als Training?
Tätowieren bedeutet für den Körper und unser Immunsystem vor allem eins: Stress. Im besagten Artikel untersuchten die Autor*innen, ob sich dieser Tattoo-Stress in besonderer Weise auf das Immunsystem auswirken könnte. Denn nach mehrmaligem Tätowieren wäre das Immunsystem doch sicher besser auf solche kurzzeitigen Stress-Situationen vorbereitet.
Ob Stress das Immunsystem schwächt oder stärkt, hängt von dessen Dauer sowie weiteren Faktoren ab. So sorgt beispielsweise auch Sport für körperlichen Stress: Hormone wie Adrenalin oder Cortisol werden ausgeschüttet. Doch Versuche haben gezeigt, dass dieser regelmäßige und für kurze Zeit andauernde Stress sich im Endeffekt stärkend auf das Immunsystem auswirkt. Langanhaltende Stress-Phasen hingegen können zu einer Schwächung des Immunsystems führen und das Infektionsrisiko steigern.

Stoppt den Eindringling!
Sobald etwas Fremdes in unseren Körper gelangt, ist das Immunsystem zur Stelle und geht der Sache nach. Auch bei Verletzungen der Haut, bei denen körperfremde Stoffe eindringen, wird das Immunsystem aktiv und sendet eine Antwort. Bei dieser Immunantwort werden bestimmte Zellen und Stoffe im gesamten Körper aktiviert, die unerwünschte Eindringlinge bekämpfen. Dazu gehört auch die Bildung so genannter Antikörper, welche Eindringlinge erkennen und bekämpfen.
Es ist üblich, dass der Körper beim ersten Tattoo besonders viel Stress ausgesetzt ist. Denn schließlich handelt es sich sowohl für die Person als auch den Körper um etwas völlig Neues und ziemlich Schmerzhaftes. In dieser Situation kommt es auch zur Ausschüttung verschiedener Stresshormone, wodurch das Immunsystem kurzzeitig geschwächt ist. Beim beispielsweise fünften Tattoo hingegen, ist der Körper schon deutlich weniger gestresst und das Immunsystem gestärkt. So zeichnet sich eine Art Lerneffekt des Immunsystems ab.
Dennoch ist Tätowieren grundsätzlich jedes Mal körperlich ziemlich auslaugend. Besonders dann, wenn man sich müde, hungrig oder leicht kränklich unter die Nadel begibt. Auch die Größe des Motivs und Dauer der Sitzung haben einen Einfluss auf das eigene Wohlbefinden. So kann es auch beim zehnten Tattoo der Fall sein, dass man sich anschließend schwach fühlt und empfänglicher für gewöhnliche Infektionen wie eine Erkältung ist. Daher ist es außerordentlich wichtig, möglichst entspannt und gut vorbereitet zum Tattootermin zu erscheinen.
Wie lief der Versuch ab?
Bei der im Forschungsartikel beschriebenen Studie wurden Speichelproben verschiedener, tätowierter Personen gesammelt. Die Proben wurden jeweils vor und nach einer Tattoo-Sitzung entnommen. Anhand dieser konnten sie dann bestimmte immunologische Biomarker, also bei einer Immunantwort vom Körper ausgeschüttete Stoffe, messen. Anhand dieser Messungen wurde dann die Stärke des Immunsystems der jeweiligen Person abgeleitet.
Um die Tattoo-Erfahrung verschiedener Personen miteinander vergleichbar zu machen, stellten die Autor*innen eine Formel zu deren Berechnung auf: Anzahl der Tätowierungen + Anzahl der Tattoo-Sitzungen + Anzahl der Stunden, die man tätowiert wurde + Tätowierter Körperanteil (in Prozent) geteilt durch die Anzahl der Jahre, die man tätowiert ist = Tattoo-Erfahrung.
Hinzu erhoben sie von jedem*r Teilnehmer*in zusätzlich gesundheitliche Daten wie das Gewicht, den Körperfettanteil und die Größe. Insgesamt nahmen neun Frauen und 16 Männer zwischen 16 und 96 Jahren an der Studie teil.

Tätowieren zur Stärkung des Abwehrsystems?
In der Evolutionsbiologie gibt es eine Theorie, die besagt, dass ein kostspieliges Verhalten für Robustheit und Gesundheit steht (Costly Signaling Theory). Wer also Kraft in etwas investieren kann, das keinen Überlebensvorteil bietet, der muss es sich wohl erlauben können. Das Tätowieren, welches ein absichtliches Verletzen und dauerhaftes Einbringen körperfremder Substanzen darstellt, könnte als ein solches Verhalten angesehen werden. Somit würden zahlreiche Tattoos potentiellen Geschlechtspartnern eine gewisse Stärke signalisieren.
In Europa stellt das Tätowieren jedoch eine ziemlich sichere Art der Verletzung dar. Tätowierungen stehen nicht wirklich für Stärke, sondern werden vielmehr als Accessoire oder Kunst wahrgenommen. Die Bevölkerung von Amerikanisch-Samoa hingegen blickt auf eine Geschichte zurück, die durch zahlreiche Krankheiten gezeichnet ist. Dort herrscht beim Tätowieren generell ein deutlich höheres Infektionsrisiko als hierzulande. Außerdem gelten Tattoos in der samoanischen Kultur bis heute als ein Zeichen von Stärke. Daher wurde vermutet, dass die stärker Tätowierten dort vielleicht auch eine verbesserte Immunantwort haben könnten.
Das Ergebnis der Studie
Tatsächlich fanden die Autor*innen in dieser Studie einen Zusammenhang zwischen der Anzahl von Tattoo-Sessions sowie dem prozentualen Anteil tätowierter Haut und der Stärke der Immunabwehr. Je mehr Tattoo-Erfahrung ein*e Teilnehmer*in hatte, desto schneller und stärker reagierte das Immunsystem bei einer neuen Tätowierung. Somit war das Risiko einer Infektion des neuen Tattoos bei ihnen geringer, als bei Teilnehmer*innen mit weniger Tattoo-Erfarhung.
Auch nachdem das Tattoo verheilt war, blieb eine erhöhte Menge an Antikörpern zurück – das Immunsystem blieb also längerfristig gestärkt. Antikörper sind die Einheit des Immunsystems, die bestimmte körperfremde Substanzen erkennen und zu dessen Bekämpfung aufrufen. Einmal gebildet, bleiben sie über Jahre hinweg in der Blutlaufbahn und sorgen für Sicherheit. Einen mit Impfungen vergleichbaren Effekt konnten die Autor*innen jedoch nicht feststellen.

Ein bisschen Stress ist gut!
Letztendlich kamen die Autor*innen zu dem Entschluss, dass Tattoo-Sessions eher mit sportlichen Aktivitäten gleichzusetzen sind. Immer mal wieder kurzfristigem Stress ausgesetzt zu sein, hat einen stärkenden Effekt auf das Abwehrsystem. So lernt das Immunsystem stetig dazu und wird bei der nächsten potentiellen Infektion effektiver und schneller handeln können.
Eine wirklich weitreichende Forschung gibt es zu Tätowierungen und deren Auswirkungen auf das Immunsystem jedoch leider noch nicht. Zwar scheint eine Vielzahl an Tattoos einen stärkenden Effekt auf das Immunsystem zu haben, aber dieses Ergebnis könnte auch anders begründet sein. Die Autor*innen fanden hier lediglich einen Zusammenhang – keine Kausalität. Es könnte zum Beispiel auch sein, dass Personen mit einem ohnehin schon stärkeren Immunsystem sich einfach häufiger tätowieren lassen, da sie weniger Probleme beim Abheilen haben.
Was bedeutet das ganze also jetzt? Ein gesunder Lebensstil lässt sich nicht wirklich durch einen komplett tätowierten Körper ersetzen. Auch wenn dein Abwehrsystem von Tattoo-Sessions profitieren kann, bleibt am Ende nur eins zu sagen: Roll die Fitnessmatte lieber wieder aus!