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Sak Yant – Spiritualität,
die unter die Haut geht
Das erste mal in Berührung mit Sak Yant (auch als Yantra bekannt), der heiligen geometrischen Form, kam ich vor einigen Jahren. Nicht wie zu erwarten auf einem Backpack-Trip durch Asien, sondern bei einem Besuch meines Stammtätowierers im beschaulichen Rheingau. Während mein Arm bearbeitet wurde, kam aus einem angrenzenden Raum eine junge Frau. Diese war sichtlich emotional aufgeladen, sehr berührt, das Gesicht noch ganz verweint. Sie verabschiedete sich überschwänglich und ich war irritiert: Was ging da in diesem Räumchen nebenan vor sich? „Das geht schon die ganze Woche so. Da kommen auch die größten Brecher weinend raus. Arjarn Hom aus Thailand ist zu Besuch, da ist das ganz normal, er macht Sak Yants.“ meinte mein Tätowierer achselzuckend und werkelte munter weiter. Meine Neugier war geweckt und ich begann noch am selben Abend zu recherchieren. Was hatten die Leute bei Arjarn Hom erlebt?
Was ist Sak Yant?
Als Sak Yant wird eine heilige Form des Tätowierens bezeichnet. Sie findet sich hauptsächlich in Südostasien – vor allem in Kambodscha, Laos und Thailand. Doch auch unter chinesischen Buddhisten und in Singapur erfreuen sie sich wachsender Beliebtheit. Auch immer mehr europäische Touristen lassen sich auf ihren Reisen solch ein Motiv stechen oder, wie in meinem Fall, ein Arjarn Sak (Thai für „ehrenwerter Tätowiermeister“) findet seinen Weg als Gasttätowierer nach Europa.
Sak kann mit „stechen“ und Yant mit „heilige geometrische Form“ übersetzt werden. Es setzt sich, wie die Tätowierungen unter anderem, aus uraltem Sanskrit zusammen. Dabei strahlen die Motive eine mystische, eigentümliche Schönheit aus. Krieger, hinduistische Götter, Tierdarstellungen und immer wieder Lettering. Buddhistische Pali-Schrift, Schriften der alten Khmer und Unalome, die spiralförmigen Symbole des Wachstums und der Erleuchtung. Viele Sak Yants verbinden Elemente der buddhistischen Kunst, wie zum Beispiel Ritualdiagramme, mit Elementen der Symbolsprache vor-buddhistischer und schamanischer Religionen Südostasiens.
Die künstlerische Aneignung und Vermischung unterschiedlicher Anschauungen und Elemente wurde durch die Offenheit des Buddhismus für unterschiedlichste Kunstformen und Traditionen erleichtert. So entwickelte sich eine ganz eigene Symbol- und Bildsprache, deren Faszination man sich beim beim Betrachten nur schwer entziehen kann.
Soweit die ersten Eckdaten und optischen Eindrücke, die sich schnell herausfinden ließen. Aber wie fühlt es sich an, Träger eines solchen Motives zu werden? Was passiert dabei und warum kann es bei Menschen so starke Emotionen auslösen? Schnell war mir klar, dass ich vor meinem Laptop nicht weiter kommen würde – Ich würde mich selbst in die Hände eines Meisters begeben müssen, um es wortwörtlich am eigenen Leibe zu erfahren.
In den Händen des Meisters
Im kommenden Sommer bot sich mir endlich die Möglichkeit. Arjarn Hom hatte sich wieder auf den Weg von Thailand in den Rheingau gemacht, um dort einige Wochen zu arbeiten. Ich war sehr gespannt, wie sich dieser Termin entwickeln würde und ob ich danach schlauer wäre. So lernte ich an einem schönen Sommertag im Juni Arjarn Hom kennen – der Kontrast hätte nicht schöner sein können: Rheingauer Fachwerk und buddhistischer Tattoo-Mönch. Mindstate: tiefenentspannt.
Freudig kam er auf mich zu und wir unterhielten uns erst einige Zeit mit Händen und Füßen über alles Mögliche. Wer ich denn so sei, was ich so mache, was mir wichtig sei im Leben. Dann sagte er unvermittelt, er wolle mir ein Gao Yord tätowieren, es symbolisiere die 9 heiligen Gipfel des Berges Meru. Dazu wolle er mir noch weitere Symbole stechen, die meine Kinder, mich und alle Menschen in meinem Leben beschützen werden. Ich war einverstanden und es sollte ein mystische Erfahrung werden, mit der ich so nicht gerechnet hatte.
Vorbereitungen
Nach einer rituellen Übergabe von Geschenken, Blumen und Obst, bei dem der Tätowiermeister im Lotussitz erhöht vor mir saß, begann er Räucherstäbchen zu entzünden und alte Mantren rezitierend seine Werkzeuge vorzubereiten. Sak Yants werden mit einem traditionellen Tätowierinstrument, dem Mai Sak gestochen. Bei dem Mai Sak handelt es sich um einen langen, angespitzten Bambusstab. Alternativ wird eine Metallspitze, Khem Sak, verwendet. Dies entspricht wohl eher den hygienischen Standards eines westlichen Tattoostudios und wurde auch von meinem Tätowierer verwendet.
Arjarn Hom in Aktion
Nun begann die eigentliche Tattoositzung. Doch wo normalerweise Musik, Handy und Gespräche mit dem Tätowierer zur Ablenkung zum Einsatz kommen, herrschte hier eine tiefe, meditative Stille. Im Lotussitz, meinen Rücken zum Meister gewandt, begann dieser mit seiner Arbeit mit dem Khem Sak. Absolute Ruhe, kein Surren der Tattoomaschine und keine Spotify-Playlist. Dafür ein durchgehendes rezitieren buddhistischer Mantren, leise Pfeiftöne und Pusten des Meisters über meinen Rücken.
Ob es an dem außergewöhnlichen Setting, der mangelnden Ablenkung, dem Khem Sak oder meiner Tagesform lag – ich weiß es nicht. Aber der Schmerz war intensiv und durchströmte mich von Kopf bis Fuß. Die vier Stunden kamen mir wie eine Ewigkeit vor und die letzte Stunde mussten Helfer des Meisters mich halten, da ich am ganzen Körper zitterte. Meine Schultern verkrampften so stark, dass der Meister sonst nicht in meinem Nacken hätte stechen können.
Dermaßen angeschlagen saß ich nun wieder vor Arjarn Hom – zitternd, am Ende meiner Kräfte und irgendwie glücklich, das Ganze überstanden zu haben. Ich kniete vor ihm und er saß wieder erhöht im Lotussitz vor mir. Tief schaute er in meine Augen und atmete mit mir. Seine Blicke durchbohrten mich förmlich, dennoch waren sie warm und herzlich. Dachte ich bis dahin, der Prozess des Stechens eines Sak Yants wäre der intensivste Teil dieser Erfahrung, wurde ich jetzt eines besseren belehrt.
Das Ritual
Nun begann das Ritual, welches nach dem Glauben der Meister die Kräfte der Tätowierung aktiviert. Ganz leise begann Arjarn Hom fremd klingende Mantren zu rezitieren, dann wurde er immer lauter, immer eindringlicher. Meine Augen waren geschlossen und in mir drehte sich alles, völlig unbekannte Gefühle durchströmten mich. Mein Gefühl für Zeit und Raum war völlig ausgeschaltet, in mir tobte ein Sturm von Mantren und Empfindungen. Als ich diesen Zustand kaum noch aushielt, beendete der Meister abrupt die Mantren mit einem unendlich tröstlichen, unendlich sanftem Pfeifen und besprenkelte dabei mein aktiviertes Sak Yant mit Wasser. Das Wasser ran über meinen schmerzenden Rücken und genau das war der Moment, in dem ich zusammenbrach und anfing zu weinen. Die Tränen liefen nur so aus mir heraus. Wie ein kleines Kind kniete ich da und weinte. Unendlich lange. Ich denke, es dauerte Ewigkeiten, bis ich mich wieder beruhigen konnte und zu mir kam.
Etwas ganz Besonderes
Bis heute weiß ich nicht, was in diesem Moment passiert ist. Aber nun kann ich erahnen, was die Menschen so berührt hatte, die vor mir bei Arjarn Hom waren. Nun hatte ich es am eigenen Leib erfahren, nur mein Geist hinkt bis heute noch hinterher es zu verstehen. Bis heute gehört diese Erfahrung zu den wahnsinnigsten Erlebnissen meiner Karriere als Tattoo-Fan. Und auch wenn meine Liebe eigentlich dem Neotraditional gehört, ist es eine Erfahrung, die ich niemals missen möchte und die ich jedem Liebhaber der Tätowierkunst ans Herz legen möchte. Es zeigt eindringlich die Bandbreite und die mögliche emotionale Tiefe unseres Lieblingshobbies und macht ein Sak Yant dadurch für mich zu etwas ganz Besonderem.