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Trotz der Ungewissheit, wann nun alle Tätowierer*innen wieder ihrer Arbeit nachgehen können, ist Vivien Krispin sehr positiv eingestellt. Auch wenn es eine ungewollte Auszeit ist, sieht sie diese als Chance für Projekte, für die sie vorher kaum Zeit gefunden hat. Welche das sind und was sie uns trotzdem noch mitgeben möchte, um in dieser Zeit nicht dem sozialen Leistungsdruck zu verfallen, lest ihr hier.
Was hat sich bei dir, seit dem dein Studio vorübergehend geschlossen ist, an deinem Alltag verändert?
Da ich am liebsten spät nachts anfange zu arbeiten und zu zeichnen, hat sich die ersten Wochen mein Alltag in sofern verändert, dass dieser sich hauptsächlich nachts abspielte. Allerdings merkte ich dann, dass dies keine Dauerlösung ist und ich versuche mittlerweile vor 12 Uhr aufzustehen. Auch wenn ich es total genieße mal keinen Zeit- und Termindruck zu haben und die Freiheit, das zu zeichnen, was ich in dem Moment zeichnen will, blockiert mich die neu gewonnene Freiheit auch ein wenig. Man hat auf einmal so viele Möglichkeiten. Also setze ich mir weiterhin Deadlines und lasse Themen für Prints oder Wannados auf Instagram abstimmen.
Durch den ganzen Printverkauf gleicht mein Wohnzimmer einer Poststelle und ein großer Teil meines Tages besteht jetzt darin, Bestellungen entgegenzunehmen, Papierkram und Zahlungseingänge zu checken, Bestellungen in Auftrag zu geben, diese zu verpacken, Pakete zu beschriften und 40 Minuten in der Schlange vor der Post anzustehen, um diese zu verschicken. Also mal was ganz Anderes und ich hätte nie gedacht, dass das alles mit so einem riesigen Aufwand verbunden ist.
Außerdem hab ich noch damit angefangen, täglich mindestens eine halbe Stunde Yoga zu machen. Ich wollte mich seit Jahren schon zwingen mal mit Sport anzufangen, aber die Ausrede “ich muss noch arbeiten” hat mich immer davon abgehalten.
Was fehlt dir am meisten aus deinem Job im Alltag?
Abgesehen von meinen wundervollen Kollegen und Kunden, vermisse ich das Tätowieren an sich extrem. Das Tätowieren und der ganze Prozess gibt mir so unglaublich viel. Normalerweise hat man am Ende eines jeden Tages etwas geschafft. Man hat stundenlang an einem Tattoo gesessen und sein absolut Bestes gegeben und wenn es dann endlich fertig ist und alle happy sind, wird man mit einem unglaublichen Glücksgefühl belohnt. Ich kann das gar nicht richtig in Worte fassen, aber es gibt einem schon so einen kleinen Kick. Dieses Gefühl jetzt nicht mehr täglich zu haben, fehlt mir schon sehr.
Was machst du gerade alternativ zum Tätowieren, um dich künstlerisch auszuleben?
Auch schon vor Corona, haben sich viele meiner Kunden gewünscht, dass ich mal Prints oder anderen Merch machen soll. Das hab ich mir also auch gleich als Erstes vorgenommen. Mittlerweile hab ich mehrere Prints zur Auswahl und überlege, was ich als nächstes machen könnte. T-Shirts, Pins, irgendwelche Gegenstände bemalen, die Möglichkeiten sind endlos.
Außerdem muss ich gestehen, habe ich seit dem ich tätowiere fast nur noch digital gezeichnet, da es im Umgang mit den Kunden und für den Alltag einfach am praktischsten für mich ist. Ich habe seit Ewigkeiten nicht mehr auf Papier oder einer Leinwand gemalt und warte gerade ungeduldig auf meine Bestellung mit Malutensilien, damit ich mich daran mal wieder versuchen kann. Ich freue mich einfach mal was Neues ausprobieren zu können. Dazu fehlte mir sonst immer die Zeit und Energie zu.
Gibt es Projekte, für die du gerade jetzt Zeit hast?
Ich hab vor Corona, glaub ich, täglich darüber genörgelt, dass ich mir mehr Zeit für Wannados wünsche. Ich arbeite jetzt gerade an mehreren Wannados zu unterschiedlichen Themen. Auch schon vor Corona habe ich alle paar Monate mehrere Wannados zu einem bestimmten Thema gezeichnet und diese dann alle zusammen hochgeladen. Das macht immer unglaublich viel Spaß und normalerweise muss ich mir dafür immer extra eine Woche frei nehmen, um das alles neben dem normalen Arbeitsalltag zu schaffen.
Was kannst du Positives aus der Situation mitnehmen?
Gerade als Selbständiger ist es schwierig zu sagen, ich mach jetzt einfach mal drei bis vier Wochen frei. Meist hab ich mir nie länger als eine Woche am Stück frei genommen und in der Zeit dann trotzdem noch irgendwie gearbeitet. Andere kommen abends nach Hause und haben Feierabend. Ich denke mir jeden Abend nach der Arbeit, du musst noch für morgen zeichnen. Immer an die nächste Zeichnung denken, nie wirklich zur Ruhe kommen. Die aktuelle und ungewollte Auszeit nehme ich jetzt einfach mal zum Durchatmen und wenn es wieder losgeht, bin ich frischer, entspannter und kreativer als je zuvor.
Möchtest du noch etwas zum Schluss sagen?
Diese Situation ist für uns alle etwas Ungewöhnliches und Forderndes. Es wird gute und schlechte Tage geben. Mir hilft es, zu wissen, dass ich nicht alleine bin, mit dem was ich fühle. Wir alle kämpfen. Wir alle müssen jetzt gemeinsam durch diese Zeit. Versucht das Beste draus zu machen. Das muss nicht unbedingt mega produktiv oder bedeutungsvoll sein. Es ist auch total in Ordnung, wenn man diese Zeit nutzt, um einfach mal nichts zu tun.
Lasst euch nicht von Instagram vormachen, dass alle scheinbar mega produktiv sind, jeden Tag nen Halbmarathon laufen, ihre ganzen Wohnungen umdekorieren oder 20 neue Fremdsprachen lernen. Macht das, was euch glücklich macht. Dies ist kein Wettkampf, wo am Ende zählt, wer an meisten geschafft hat während der Krise. Passt auf euch auf und bleibt, wenn ihr könnt, zu Hause. Dann können wir hoffentlich bald alle wieder in unser normales Leben zurückkehren und wünschten uns, wir könnten mal ein paar Wochen einfach zu Hause bleiben.
Tätowiererin Vivien Krispin
Instagram: instagram.com/vivvy.ink
Tattoo-Studio: Schwarz oder Gold, Hamburg
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