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Mit der Arbeit fällt für eine*n Tätowierer*in nicht nur ein Job weg, denn für viele nimmt dieser Beruf einen Großteil des Lebens ein. Gerade zu Anfang der “Zwangspause” war es besonders schwierig zuhause kreativ zu werden und gleichzeitig die richtige Balance zwischen Arbeit und Pausen zu finden. Emrah Lausbub findet langsam auch positive Aspekte an der Situation, was gerade zu Beginn kaum möglich war, aber lest selbst.
Was hat sich bei dir, seitdem das Studio vorübergehend geschlossen ist an deinem Alltag verändert?
Eigentlich alles. Für die meisten Tätowierer*innen ist das Studio oder der Beruf an sich der Knotenpunkt für das eigene Leben – in vielerlei Hinsicht. Arbeit, Freunde, zweite Familie, Hobby, Freizeit etc. Wenn das wegfällt, was es ja momentan tut, ist es echt nicht einfach zu schlucken. Ich meine, ich habe das Privileg, dass ich mich darauf freue “arbeiten” zu gehen. Ich lerne ständig neue Menschen kennen und hab ‘nen Mordsspaß in meinem zweiten Zuhause. Das fehlt einem gerade enorm.
Mir fehlt das Tätowieren immer spätestens nach ein paar Tagen. Diesmal aber sogar noch mehr als sonst, da es erstens nicht absehbar ist, wann es wieder losgeht (da bin ich eher pessimistisch, was meine Prognose angeht) und zweitens wahrscheinlich, weil wir es grad nicht DÜRFEN.
Wenn ich in den letzten Tagen im Laden war, dann nur, um irgendwelche Unterlagen für irgendwelche Anträge zu suchen. Man geht rein und es ist kalt, leer und still – es nervt. Doch es muss sein, ich finde es richtig! Wir haben ja am 17. März bereits zugemacht, weil wir es nicht verstanden haben, warum die überhaupt solange damit warten.
Was fehlt dir am meisten aus deinem Job im Alltag?
Das Tätowieren an sich und meine Freunde bzw. Kollegen.
Was machst du gerade alternativ zum Tätowieren, um dich künstlerisch auszuleben?
Ich habe irgendwann letzte Woche (kein Plan, welcher Tag es war :D ) endlich die Muße gehabt, um ein paar Leinwände in Angriff zu nehmen und konnte drei Bilder malen und mehr sind in Arbeit.
Ich wollte auch schon lange mal Holzschnitzerei ausprobieren und habe mir Tattoo-Klopfwerkzeug geschnitzt. Nur zum Einrahmen und sehr rustikal, angelehnt an welche die ich in Neuseeland im Museum gesehen habe. Ich muss aber sagen, ich werd’ mir noch ein Set basteln, was man auch tatsächlich nutzen kann und es auch an mir ausprobieren, denke ich. :D
Danach werd’ ich dann mal irgendwie Skulpturen ausprobieren oder sowas.
Gibt es Projekte, für die du gerade jetzt Zeit hast?
Ja voll, da die Malerei immer spontan aus ‘nem Gefühl raus kommt und ich aber immer was machen muss, hab ich lauter Projekte, damit auch etwas Struktur im Alltag ist. Ich war (leider mitten in dieser Coronakrise ) in Neuseeland und bin wieder voll angefixt eine Bildsprache auszuarbeiten, welche die klassischen polynesischen Elemente mit meinem Kram verbindet. Ich hatte das schon mal ne Zeit lang gemacht, jedoch will ich diesmal auch komplett eigene Formen/Muster mit Bedeutungen ausarbeiten. Nun hab ich Zeit dafür.
Dadurch, dass auch alle Urlaubspläne etc. futsch sind, hab ich unseren Camper-Van wieder zerlegt und bau ihn nochmal um, was auch echt Laune macht. Also wie ihr seht, hab ich mir die Zwangspause auch irgendwie vollgestopft. Ich würde wirklich gerne mal einen Gang runter schalten, aber das will auch gelernt sein. Vielleicht lern ich es ja während dieser Krise. :D
Was kannst du positives aus der Situation mitnehmen?
Ich habe richtig viel Zeit mit meiner Frau und meiner anderthalb Jahre alten Tochter und sie feiert das Ganze so richtig! Auch oder gerade weil wir nur daheim und im Garten sind. Mir ist wieder einmal bewusst geworden, wie viel Glück ich habe.
Ich bin am 13.3. in Neuseeland angekommen, für eine Convention und ‘nen Guestspot. 12 Stunden nach meiner Ankunft mussten alle die ins Land reinkamen in Quarantäne. Als die Situation sich täglich änderte, habe ich versucht früher zurückzukommen zu meiner Familie. Gerade so hab ich noch einen Flug bekommen und wieder ein paar Stunden nach dem Abflug wurden fast alle Flüge gestrichen. Eine gute Freundin, Jules Boho, mit der ich da war, steckt jetzt noch in Neuseeland fest. [Anmerkung: Mittlerweile hat Jules es übrigens zurück nach Österreich geschafft!]
Möchtest du noch etwas zum Schluss sagen?
Jeden von uns kotzt die Situation an – jeden. Aber wieder beim Thema Glück: wir leben in Deutschland/Europa. Uns geht es selbst in so einer Zeit noch gut, man darf das nicht vergessen. Uns wird durch die staatlichen Hilfen schon vieles einfacher gemacht, einfacher wird’s nicht, aber es gibt Menschen, denen geht es schlechter, vorher schon, jetzt sowieso und danach wahrscheinlich auch noch. Es ist außerdem ein Privileg überhaupt Social Distancing machen zu können, wenn man sich die Armutsecken der Welt anschaut.
Ich hoffe, es findet ein Umdenken statt bei jedem von uns, in der gesamten Gesellschaft. Ich denke, diese Zwangspause aus diesem schnellen Leben wird für viele von uns auch sehr viel Positives mit sich bringen.
Nachtrag:
Mittlerweile dürfen Tattoo-Studios in Baden-Württemberg unter bestimmten Auflagen wieder ihren Betrieb aufnehmen. Das Team vom Lausbub Kollektiv hat sich jedoch dazu entschieden, die Entwicklungen bis Ende Mai zu verfolgen und erst dann über eine Wiedereröffnung nachzudenken. Mehr Infos dazu findet ihr in einem Corona-Update-Post auf dem Instagram-Profil des Shops!
Tätowierer Emrah Lausbub
Experimentelles Watercolour
Instagram: instagram.com/emrahlausbub
Tattoo-Studio: Lausbub Tattoo-Kollektiv, Heilbronn
Feelfarbig wird immer kostenlos bleiben!