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Dass Tätowieren mit Schmerzen verbunden ist, überrascht wohl niemanden. Dass jedoch nicht nur Kund*innen, sondern auch Tätowierer*innen dabei körperlich leiden, ist nicht allen sofort klar. Bei der Arbeit nehmen Tattoo Artists häufig über mehrere Stunden hinweg eine augenscheinlich eher ungesunde Körperhaltung ein. Doch was für Auswirkungen hat das auf Dauer auf den Körper und wie kann man dauerhaften Schmerzen vorbeugen?
Körperlich belastender als man denkt
Um ein Tattoo in die Haut einzubringen, muss der Artist seine Tattoo-Maschine oftmals mehrere Stunden lang in der Hand halten. Dabei vibrieren die Maschinen während sie in Betrieb sind je nach Modell unterschiedlich stark. Zwar können verschiedene ergonomische Handstücke verwendet werden, doch die Vibration wird über diese nicht komplett abgefangen. Diese Eigenschaften sind mit denen von Werkzeugen für zahnärztliche Eingriffe vergleichbar.
Hinzu kommt, dass Tätowierer*innen während des Tätowierens häufig über ihren Kund*innen gebeugt arbeiten. Dabei sitzen sie oft mehrere Stunden in zeitweise sehr statischen Positionen. Auch diese Arbeitsweise ist mit der von Zahnärzt*innen vergleichbar. Studien haben gezeigt, dass diese Berufsgruppe häufig unter Schmerzen in Nacken, Schultern, unterem Rücken und Armen leidet – und so ergeht es auch zahlreiche Tätowierer*innen.
Rückenschmerzen sind die häufigsten Schmerzen
In einer Studie (Grieshaber et al., 2012) wurden 79 Tattoo Artists befragt, wie stark und häufig sie unter Schmerzen leiden. Diese gaben im Durchschnitt an, dass sie wöchentlich ca. 40 Stunden arbeiten.
Laut der Befragung litten von ihnen die meisten (75 %) unter Schmerzen im unteren Rücken, wobei 27 ein- bis zweimal, 14 drei- bis viermal wöchentlich und 18 täglich davon betroffen waren. Nach dem Rücken waren Nacken (61 %), Schultern (57 %) und Handgelenk (51 %) die am häufigsten genannten Körperstellen.
Erhöhtes Risiko für Beschwerden
Eine weitere Studie wurde 2017 (Keester et al.) mit 34 Teilnehmer*innen aus der Body Modification-Industrie veröffentlicht. Durchschnittlich arbeiteten diese 8,5 Stunden an 5 Tagen der Woche.
Von ihnen gaben 68 % an, dass sie innerhalb der letzten 12 Monate häufig Beschwerden mit ihren Händen hatten. Besonders betroffen waren dabei die Handflächen (24 %) sowie Daumenballen (44 %) der rechten Hand. Außerdem gaben insgesamt 79 % von ihnen an, dass weiteres Tätowieren ihre Beschwerden verschlechtern würde.
In derselben Studie untersuchte man außerdem die Körperhaltung und Muskelaktivität der Teilnehmer*innen. Die Auswertung zeigte, dass über die Hälfte der Tätowierer*innen während der Arbeit eine Körperhaltung einnahm, die das Risiko für Muskel-Skelett-Erkrankungen deutlich steigert. Zu solchen Erkrankungen zählen zum Beispiel das Karpaltunnel-Syndrom oder bandscheibenbedingten Wirbelsäulenerkrankungen.
Zur Verbesserung schlagen die Autor*innen vor, stets eine höhenverstellbare Liege zu nutzen, um der gebeugten Körperhaltung etwas entgegenzuwirken zu können. Außerdem sollte die Work Station möglichst so eingerichtet sein, dass man den Körper nicht ständig während des Tätowierens zu sehr verdrehen muss.
Schmerzen während des Tätowierens stärker
Die generelle Gesundheit von Menschen, die in der Tattoo-Industrie arbeiten, wurde in einer Online-Studie 2017 vom Dermatologen Nicolas Kluger (@the_tattooed_derm) genauer beleuchtet. Dazu wurden insgesamt 448 französische Tätowierer*innen befragt.
Auch hier waren Rückenschmerzen die am häufigsten genannten Beschwerden (65 %), gefolgt von Schmerzen in den Fingern (41,5 %) und generellen Muskelschmerzen (28,8 %). Dabei traten diese Symptome häufiger auf, nachdem die Artists tätowiert haben. Darüber hinaus empfanden zum Beispiel auch 88 % der Befragten während des Tätowierens selbst Schmerzen in ihren Fingern.
Tätowierer*innen und Zahnärzt*innen leiden ähnlich
Eine aktuelle Studie aus Israel (Weisman et al., 2021) verglich 114 Tätowierer*innen, 161 Zahnärzt*innen und 296 Büroangestellte miteinander. Dafür wurden die drei Berufsgruppen zu ihrer Person, Arbeit sowie ihren körperlichen Beschwerden befragt. Außerdem wurden noch weitere Daten wie sportliche Aktivität oder Gewicht erhoben.
Erneut wurden von Tätowierer*innen am häufigsten Beschwerden im unteren Rücken (56 %) genannt, gefolgt von Nacken (47 %) und Händen (36 %). Insgesamt schienen die Beschwerden von Tätowierer*innen und Zahnärzt*innen sehr ähnlich, während Büroangestellte von den anderen abwichen. Zwar sitzen diese auch viele Stunden am Tag, arbeiten aber nicht mit vibrierenden Werkzeugen und haben wohl eine weniger gebeugte und verdrehte Körperhaltung.
Überraschung: Sport kann helfen!
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt ein Minimum von 150 Minuten moderater Bewegung oder 75 Minuten intensiver Bewegung pro Woche. Studienteilnehmer*innen, welche diesen Empfehlungen nachkamen, berichteten deutlich seltener von Beschwerden.
Auch wenn es wohl wenig überraschend ist, sollten besonders Tätowierer*innen sich ihrem Körper zuliebe regelmäßig sportlich betätigen. So können sie Beschwerden, welche sie möglicherweise an der Ausübung ihres Berufs hindern würden, vorbeugen.
Ein guter Einstieg dafür wären zum Beispiel diese Sportübungen und Tipps vom Trainer gegen Rückenschmerzen für Tätowierer*innen oder unser kleines “Feel Fitter”-Workout.
- Grieshaber, D. C., Marshall, M. M., & Fuller, T. J. (2012) “Symptoms of musculoskeletal disorders among tattoo artists,” Proceedings of the Human Factors and Ergonomics Society, (2010), pp. 1158–1162. doi: 10.1177/1071181312561252.
- Keester, D. L. & Sommerich, C. M. (2017) “Investigation of musculoskeletal discomfort, work postures, and muscle activation among practicing tattoo artists,” Applied Ergonomics, 58, pp. 137–143. doi: 10.1016/j.apergo.2016.06.006.
- Kluger, N. (2017) “National survey of health in the tattoo industry: Observational study of 448 French tattooists,” International Journal of Occupational Medicine and Environmental Health, 30(1), pp. 111–120. doi: 10.13075/ijomeh.1896.00634.
- Krämer, J. (2006) “Bandscheibenbedingte Erkrankungen als Berufskrankheit,” Bandscheibenbedingte Erkrankungen. 5., überar. Stuttgart: Georg Thieme Verlag. doi: 10.1055/b-0034-70851.
- Weisman, A., Yona, T., & Gottlieb, U. (2021) “Tattoo artists and dnetal workers have similar muscokleletal pain patterns,” Occupational Medicine, (October). doi: 10.1093/occmed/kqab149.
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