Tattoo Shaming: „Eine Rose, aber eine männliche bitte!“

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Schon länger diskutiert unsere Gesellschaft Themen wie „Body Shaming“, „Fat Shaming“ oder auch „Skinny Shaming“. Darunter versteht man das Diskriminieren, Beleidigen und Herabwürdigen einer Person bzw. ihres Körpers. Das kann jeden treffen: Zu dünn, zu dick, zu alt, zu feminin, zu behaart – und das sind nur ein paar Beispiele. Doch nicht nur der Körper selbst wird häufig Zielscheibe solcher Herabwürdigungen, sondern auch vorgenommene Modifizierungen. Seien es vergrößerte Brüste, falsche Wimpern, gefärbte Haare, Piercings oder eben Tattoos. Gerade Tätowierungen beschreiben Fremde dann häufig mit Adjektiven, die man selbst wohl nie gewählt hätte. Schnell werden dabei bestimmte Motive oder Stile auch mal einem Geschlecht zugeordnet. „Blumen sind was für Frauen“, „Stark tätowierte Frauen sehen total männlich aus“ oder „Old school ist Männersache“ sind nur ein paar Beispiele dafür.

Doch nicht nur Tätowierte, sondern auch Tätowierer sehen sich mit diesem Klischee konfrontiert. So erzählt uns zum Beispiel Phil Kaulen, dass männliche Kunden häufig Probleme mit Blumen hätten, wenn er diese als Lückenfüller vorschlägt. „Das winken viele dann sofort ab. Wenn Männer aber von sich aus Blumen haben möchten, hörte ich schon mehrmals den Satz: >Ich hätte gerne ein Rose, aber schon eine männliche!<"

Um mal etwas mit dem Klischee von typisch männlichen oder weiblichen Tattoos aufzuräumen, haben wir uns mit Menschen unterhalten, die ein solches „geschlechts-untypisches“ Motiv auf ihrer Haut tragen.

 

Greta

Greta ist 20 Jahre jung und trägt unter anderem einen Molotow-Cocktail sowie ein Butterfly-Messer auf der Haut. Ihre Tätowiererin Fat Pony war damals sofort von der Idee begeistert und hat sie stilvoll umgesetzt. Für Greta haben ihre Tattoos neben der coolen Optik noch eine andere Bedeutung. So ist der Molotow-Cocktail ein Motiv der Band „Swiss und die Andern“, deren Fanbase namens „Missglückte Welt“ für Greta ein Zuhause wurde. Das Butterfly-Messer erinnert sie an den eindeutig zweideutigen Satz „It’s not always love, when you feel butterflies in your stomach“. Somit erinnert sie das Motiv an ihre erste „Liebe“, mit der sie leider großes Pech hatte: „Es erinnert mich persönlich daran, dass Menschen manipulativ sein können und man vorsichtig sein sollte“.


Tattooshaming: Greta
Riot, Molotow und Butterfly – Tätowiererin: Fat Pony

Obwohl sie selbst nie Bedenken hatte, dass ihre Tattoos irgendwie „zu männlich“ sein könnten, wird sie mit diesem Klischee konfrontiert. Ein Bekannter hielt das Tattoo zum Beispiel für sehr rebellisch und männlich. Im Anschluss fragte er sie außerdem, was ihr Mann denn später mal dazu sagen soll. Sowas trifft Greta zwar nicht wirklich, dennoch nervt sie das ganze Stereotypen-Gehabe schon ziemlich. Als Kassiererin in einem Deko-Geschäft sieht sie sich beinahe täglich damit konfrontiert. Aussagen wie „Hier arbeiten ja nur Frauen, das ist aber bei so Deko-Kram kein Wunder!“ sind ihr täglich Brot. Für sowas hat sie kein Verständnis: „Es arbeiten ja auch Männer bei uns. Diese stempeln solche Leute dann aber als schwul ab, weil ein Mann kann ja nicht in einem Dekogeschäft arbeiten!“

Alles ist unisex!

Für Greta sollte man Äußerlichkeiten keinem Geschlecht zuordnen: „Jedes Kleidungsstück ist unisex, wenn wir einfach keinen Fick auf die Meinung anderer geben! Genau so sehe ich das auch mit Tattoos. Ich trage zum Beispiel oft unisex Bandshirts und mir wird häufiger gesagt, ich solle mich bitte nicht so männlich anziehen. Ich sei doch so eine schöne Frau, warum ich denn kein Make Up benutze.“ Doch nicht nur Frauen müssen sich so etwas anhören. Ein Kumpel von Greta hat eine Lilie auf dem Oberarm tätowiert und wird andauernd gefragt, warum er so etwas Unmännliches an einer so offensichtlichen Stelle habe. Greta ist zumindest genervt von so einer flachen Denkweise: „Ich finde diese Fragen schon sehr dreist. Erstens geht mein Körper wirklich niemanden etwas an und zweites kann man jemandes Geschlecht nicht allein über das Äußere definieren.“

 

Franziska

Franziska (29) ist Mechanikerin, liebt Star Trek und Fußball und hört Metal. Mit Vorurteilen bezüglich ihres Geschlechtes kennt sie sich somit leider sehr gut aus, denn die bekommt sie kiloweise ab. Auch ihre Tattoos spiegeln ihre Interessen und Hobbys wieder. So trägt sie unter anderem ein Planetengetriebe, tätowiert von einer Freundin, welche das Tattoo-Handwerk zu der Zeit lernte. Der Motiv-Vorschlag kam von ihrer Tätowiererin, doch Franziska war sofort hin und weg: „Was sie nicht wusste, war dass ich als Jugendliche in den Ferien immer ins astronomische Sommerlager gefahren bin. Für mich war es also das absolute Traummotiv, auf das ich wohl selbst nie gekommen wäre. Außerdem mag ich das technische Prinzip hinter Planetengetrieben auch ziemlich gerne.“


Tattooshaming: Franziska
Planetengetriebe – tätowiert von einer Freundin

Ein weiteres Motiv mit technischem Hintergrund ist ihre Hutmutter (Stephan Krusty, Wien). Dabei wurde auch dieses Motiv eher von ihrem Tätowierer ausgewählt: „Ich hab ihm mein Tabellenbuch in die Hand gedrückt und gesagt, er solle mal gucken, was gut passt. Mittlerweile leider nicht mehr gut zu erkennen ist, dass die Hutmutter exakt wie im Tabellenbuch tätowiert ist. Außer dass da wo ‚SW‘ für Schlüsselweite stehen sollte, 42 steht. Weil ich schon immer eine 42 tätowiert haben wollte.“ Neben der Hutmutter trägt Franziska außerdem noch einen Maulschlüssel und einen Hakenschlüssel (Miss Freya, Frankfurt).

Tattooshaming: Franziska
Hopfen und Mechanik – Tätowiererin: Miss Freya
Star Trek Liebe!

Auch ihre Liebe zu Star Trek hat sie auf ihrem Körper verewigt. So zieren Franziska neben einem Borgwürfel noch das Klingonenlogo, das Föderationslogo und NCC 1701-C mit grünen Balken im Hintergrund. Ein weiteres ihrer Hobbys ist das Bierbrauen, worüber sie sogar auch einen Podcast macht. So kam sie zu einem weiteren Tattoomotiv: 7/9 mit Hopfen. Franziska arbeitet übrigens in einer Brauerei als Betriebsschlosserin: „Daher auch die Werkzeugauswahl. Ich habe auf der Arbeit immer Maulschlüssel und einen Hakenschlüssel in der Tasche.“

Tattooshaming: Franziska
Franziskas Klingonenlogo

Neben dem typischen „Du bist verrückt“ inklusive Kopfschütteln bekommt Franziska oft auch positive Reaktionen auf ihre Tattoos. Die technischen Sachen finden die meisten ziemlich cool und auch die Star Trek Motive werden von Fans der Serie gewürdigt. Dennoch muss sie sich auch mal mit blöden Kommentaren und Fragen herumschlagen. So wurde sie zum Beispiel schon gefragt, ob sie denn keine Angst hätte, Typen zu männlich zu sein. Dafür hat Franziska kein Verständnis: „Menschen, die sowas sagen wie >Dann steht ja kein Typ mehr auf dich< finde ich okay. Wenn die sowas sagen, dann weiß ich wenigstens, dass ich nicht weiter mit ihnen reden möchte, weil sie mir zu doof sind. Aus meiner Perspektive ist das Wichtigste sich im eigenen Körper wohl zu fühlen. Und solche Entscheidungen wie Tattoos sollte man nicht abhängig von anderen Menschen machen."

Frauen werden oft belächelt

Was Franziska außerdem stört, ist dass gerade junge Frauen häufiger mal in der Tattooszene belächelt werden: „Mädels kommen rein und wollen als erstes Tattoo was Kleines, Niedliches (Sterne, Feder….) – muss man nicht mögen, muss man nicht machen, aber für mich kein Grund ein Arschloch zu sein. In einem Tattoostudio kamen danach noch die typischen Frauenwitze. Da bin ich dann fürs nächsten Tattoo auch nicht mehr hin.“

Tattooshaming: Franziska
Hutmutter – Tätowierer: Stephan Krusty

 

Liz Majewski

Dass Liz (24) sich ihren gesamten Oberkörper stark tätowieren lassen möchte, war ihr spätestens nach anderthalb fertigen Sleeves klar. Besonders gefallen haben ihr die Arbeiten von Yonah Krank, weshalb sie mit ihm bei seinem Guestspot in Berlin direkt das Großprojekt Rücken gestartet hat. Mittlerweile ist der Rücken voll und einen ihrer Arme hat sie sich flächig von Tanja Schulze schwärzen lassen. Selbst hat sie nie darüber nachgedacht, ob ihre Tattoos „unweiblich“ sein könnten, doch gerade der geschwärzte Arm bringt blöde Kommentare mit sich.

Motive haben kein Geschlecht

Für Liz sind Motive und Farben generell geschlechtsneutral und jeder sollte sich das tätowieren lassen, was er möchte: „Ob das jetzt ein Typ mit Blumen auf dem unteren Rücken ist oder eine Lady mit Wikinger-Axt auf dem Arm… Ich finde sogar gerade solche Gegensätze sehr cool!“ Da sie momentan selbst eine Ausbildung zur Tätowiererin macht, beschäftigt sie sich natürlich auch im Beruf mit dem Thema. Besonders weil ihr Beruf oft noch als untypisch für Frauen angesehen wird: „Ich bin mir durchaus bewusst, dass das zur Zeit noch ein eher männerdominierter Beruf ist. Wobei in dem Studio, wo ich arbeite, tatsächlich mehr weibliche als männliche Kollegen tätig sind.“


Tattooshaming: Liz
Liz‘ Backpiece – Tätowierer: Yonah Krank

Dadurch dass Liz offensichtlich stark tätowiert ist, muss sie häufig Kommentare Fremder über sich ergehen lassen. Während sie vermutet, dass stark tätowierte Männer auf der Straße schnell mal als gefährliche Typen eingeschätzt werden, ist es bei ihr anders. So wurde sie zum Beispiel mal gefragt, ob es denn stimmt, dass tätowierte Frauen besonders wild im Bett seien: „Generell habe ich das Gefühl, Frauen mit offensichtlichen Tattoos werden stark sexualisiert und sogar mit wenig Scheu einfach angefasst. Auch das ist mir leider schon öfter passiert und ich kann es nicht nachvollziehen. Einer Frau ohne Tattoo tatscht man schließlich in der Regel auch nicht einfach ungefragt am Arm rum!“

 

Eindeutiges Ergebnis!

Auch wenn die lieben Damen, die wir befragen durften, unterschiedliche Motive tragen, machen sie doch ähnliche Erfahrungen. Und auch ihr Fazit fällt ziemlich ähnlich aus: Ein Tattoo-Motiv oder einen Stil kann man niemals nur einem bestimmten Geschlecht zuordnen. Blackwork ist nicht männlich, Blumen sind nicht nur Frauensache und generell sollte man nicht viel auf bestehende Klischees, Vorurteile und Stereotypen geben. Schließlich haben diese nur so viel Macht über uns, wie wir ihnen zugestehen. Die Meinung anderer sollte die eigene Entscheidung nicht beeinflussen, besonders wenn es um Tätowierungen geht. Und zum goldenen Abschluss: Am Ende ist eben doch alles wieder nur Geschmacksache – egal ob Männlein, Weiblein oder einfach nur Mensch.

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