Dein Support für Feelfarbig 🖤Hi! Schön, dass dir unsere Arbeit hilft. Unsere Recherchen und Beiträge sind stets unabhängig und für dich kostenlos. Damit das auch so bleiben kann, unterstütze uns gern. Danke! ✌️
Eine Schwangerschaft ist nicht einfach und sollte bestenfalls gut geplant sein, um vorbereitet und finanziell abgesichert zu sein. In den meisten Berufen ist eine Schwangerschaft als Festangestellte kein Problem. Wer schwanger ist, darf nicht gekündigt werden und hat Anspruch auf Elternzeit. Doch auch zu Anfang oder im Verlauf der Schwangerschaft kann es zu Komplikationen kommen. In der Regel fängt dies bei Angestellten dann der bezahlte Mutterschutz oder Krankengeldanspruch auf.
Als selbständige Person hingegen hat man vor der Geburt keinen Anspruch auf Zuzahlungen und ist in erster Linie für sich selbst verantwortlich. Natürlich ist die Finanzierung eines Kindes nicht der erste Gedanke bei einer Schwangerschaft, aber gute Planung gibt Sicherheit, um gesundheitliche Komplikationen auffangen zu können. Über die Höhen und Tiefen, Vorfreude und Sorgen haben wir mit den Tätowiererinnen Alicja Andersen und Ann-Marie Kohlbecher gesprochen. Dabei haben sie uns erklärt, was ein Kinderwunsch als Tätowierer*in bedeutet. Wie ist es, während der Schwangerschaft zu tätowieren? Was muss man bedenken und wie reagieren die Kund*innen? Diese und weitere Fragen haben uns Alicja und Ann-Marie hier beantwortet.
Eine Schwangerschaft hat gerade zu Anfang oft unangenehme Begleiterscheinungen wie Müdigkeit, Übelkeit etc. Wie ging es euch da zu Anfang der Schwangerschaft? Konntet ihr ganz normal weiter Termine machen?
Alicja: Ich hatte in dieser Hinsicht Glück, da das erste Trimester meiner Schwangerschaft genau in den Corona-“Lockdown” gefallen ist, sodass ich eh nicht arbeiten durfte.
Auch wenn ich von starker Übelkeit verschont geblieben bin, verspürte ich in den ersten Wochen tatsächlich eine so noch nie dagewesene Müdigkeit. Der Körper stellt sich hormonell komplett um und besonders die ersten drei Monate gelten als kritische Phase, in der man Stress und Anstrengung vermeiden sollte. Deshalb wäre ich wohl auch ohne Pandemie etwas kürzer getreten, was Termine angeht.
Ann-Marie: Am Anfang der Schwangerschaft ging es mir tatsächlich sehr schlecht. Ich hatte mit so starker Übelkeit und Erbrechen zu kämpfen, dass ich die ersten drei Monate nicht ein einziges mal arbeiten konnte. Das ist gerade in der Selbstständigkeit eine Katastrophe und lief natürlich komplett anders, als ich mir das vorgestellt habe.
Als ich von meiner Schwangerschaft erfahren habe, hatte ich mir vorgenommen ganz normal weiterzuarbeiten, bis es körperlich nicht mehr möglich ist. Dann direkt am Anfang schon so ausgebremst zu werden, war natürlich eine halbe Katastrophe für mich. Heute kann ich drüber lachen. So eine Schwangerschaft läuft halt nicht nach Plan.
Macht man sie mehr Gedanken bezüglich Risiken und Stress beim Tätowieren als sonst?
Alicja: Selbstverständlich mache ich mir ständig Gedanken, ob es dem kleinen Bauchmenschen in mir gut geht. Als Tätowiererin ist man schließlich ständig im Kontakt mit anderen Menschen und setzt sich dadurch einem höheren Infektionsrisiko aus. Deshalb sollten hygienische Vorsichtsmaßnahmen, nicht nur aktuell wegen Corona, sondern auch wegen anderen Krankheiten wie Hepatitis oder HIV immer an erster Stelle stehen. Als Kindergärtnerin wird man im Falle einer Schwangerschaft wegen dem Infektionsschutz sofort freigestellt, als Krankenschwester jedoch nicht. In meinem Fall entscheide ich das als Selbstständige alleine.
Ich kann verstehen, wenn Tätowiererinnen sich dazu entschließen, ihre Arbeit sofort niederzulegen. Mir war es allerdings wichtig, alle angefangen Projekte abzuschließen, um mit einem freien Kopf in die Babypause gehen zu können. Außerdem muss man leider auch den finanziellen Aspekt bedenken, denn als Selbstständige wird mir mein Gehalt nicht weiterhin gezahlt, wenn ich zuhause bleibe.
Ann-Marie: Ja, auf jeden Fall. Ich denke solche Ängste kommen automatisch, sobald man schwanger ist. Mir war aber klar, dass ich auch meinen Lebensunterhalt verdienen muss. Als ich nach drei Monaten übergeben und auf dem Sofa liegen wieder arbeiten durfte, habe ich mich aber auch unglaublich gefreut, wieder tätowieren zu können.
Ich habe versucht, alles ruhig anzugehen und mich nicht zu stressen. Außerdem habe ich noch versucht kein Desinfektionsmittel einzuatmen und habe sehr sehr vorsichtig gearbeitet, um ein versehentliches Stechen an der Nadel zu vermeiden.
Alicja, du bist bisher immer viel unterwegs und zu Gast in anderen Tattoo-Studios gewesen. Wie sieht es da aktuell aus?
Alicja: In dieser Hinsicht hat sich bei mir mit der Schwangerschaft einiges verändert. Da ich sehr oft auf Guestspots in anderen Städten war und zusätzlich immer regelmäßig zwischen Berlin und Osnabrück gependelt bin. Guestspots sind mir momentan aber einfach zu anstrengend. Die Zugfahrt mit Maske und das Schleppen des schweren Tattoo-Equipments sind in der Schwangerschaft noch beschwerlicher als eh schon. Ein Guestspot ist generell auch immer mit Stress verbunden, da man im fremden Bett schläft, nicht in der gewohnten Umgebung arbeitet und und keinen gewohnten Tagesablauf hat.
Wahrscheinlich werden Guestspots auch nach der Geburt weniger werden, da es besonders mit einem Kleinkind nicht wirklich gut vereinbar ist. Auf lange Sicht hin macht mit Kind auch ein eigenes Studio einfach mehr Sinn.
Wie sieht denn der Umgang mit Kund*innen und eurer Privatsphäre aus? Wie war es, auf die Schwangerschaft oder den Bauch angesprochen zu werden?
Alicja: Ich habe mich schon immer gerne mit meinen Kunden ausgetauscht. Das hat sich auch während der Schwangerschaft nicht geändert – ganz im Gegenteil! Ich bin als werdende Mama froh und dankbar für jeden Tipp und jede Anregung, die meine Kunden mit mir teilen. Besonders wenn sie selbst schon Eltern sind oder Erfahrungen mit Kindern haben. Außerdem bin ich total gerührt, wie positiv meine Kunden auf die Schwangerschaft reagieren und wie viele Glückwünsche und Geschenke mich, meinen Freund und unser Böhnchen schon erreicht haben.
Ann-Marie: Am Anfang der Schwangerschaft war es schwierig für mich. Ich musste so vielen Kunden absagen, aufgrund meiner Übelkeit, und ich wollte zu einem so frühen Zeitpunkt natürlich noch nicht jedem von meiner Schwangerschaft erzählen. Es hat sich komisch angefühlt nicht die komplette Wahrheit sagen zu können, da ich sonst eigentlich ziemlich ehrlich meinen Kunden gegenüber bin.
Es war eine große Erleichterung, als ich es endlich öffentlich machen konnte. Ich habe mich gerade meinen Kunden gegenüber verpflichtet gefühlt, zu sagen, was Sache ist, damit diese mein “anderes” Verhalten nachvollziehen können. Die Leute haben mir aber unheimlich süße und schöne Geschenke fürs Baby mitgebracht. Es war toll, sich mit so vielen verschiedenen Leuten auszutauschen übers Kinderbekommen, Geschichten über Geburten und das Elternsein zu hören. Soviel Austausch über das Thema hätte ich in meinem normalen Alltag wahrscheinlich nicht gehabt.
Was für einen Unterschied macht so eine Schwangerschaft bezüglich der körperlichen Anstrengung beim Tätowieren aus?
Alicja: Langes, über den Kunden gebeugtes Sitzen geht mit wachsendem Bauch definitiv nicht mehr so gut. Außerdem mache ich mir wegen der Maske, die ich beim Tätowieren tragen muss, schon Gedanken, ob mein Baby genügend mit Sauerstoff versorgt wird. Deshalb habe ich meine Arbeitszeit auf maximal vier Stunden täglich reduziert, um möglichst stressfrei durch den Tag zu kommen. Das bedeutet natürlich auch, dass große Projekte einfach nicht mehr möglich sind.
Ann-Marie: Nach drei Monaten Übelkeit ging es mir plötzlich blendend und ich konnte wieder normal arbeiten gehen. Ich hab mich wirklich eine Zeit lang sehr fit gefühlt und das Arbeiten war kein Problem. Das Baby hat sich auch jedes Mal über das Geräusch der Tattoo-Maschinen gefreut und wild im Bauch getreten.
Leider ging das dann nur einige Wochen für mich so gut. Ich muss sagen, dass ich auch ein bisschen Pech hatte und meine Schwangerschaft keine einfache war. Wir hatten einen der heißesten Sommer überhaupt und ich habe irgendwann furchtbar unter Wassereinlagerungen gelitten. Ohne sexy Thrombosestrümpfe konnte ich irgendwann nicht mehr aus dem Haus.
Mein Bauch war wirklich irgendwann unnormal groß und das klingt jetzt vielleicht witzig (war’s auch manchmal), aber ich stand vor dem Problem, dass ich teilweise nicht mehr gut an die Tattoo-Liege bzw. an den Kunden heran kam. Kunden mussten mir auch irgendwann helfen, die Stecker in die Steckdosen zu stecken, weil ich kaum mehr dran kam. Ich glaube, ich habe noch bis irgendwann im 7. Monat der Schwangerschaft tätowiert. Dann ging es aber auch einfach nicht mehr aufgrund meines Volumens.
Auch der Weg zu meinem Laden, den ich zu Fuß gelaufen bin, war irgendwann eine Herausforderung und hat ewig lang gedauert. Und das Putzen des Ladens wurde irgendwann auch sehr, sehr anstrengend.
Und wie sehen die Pläne aus, wenn das Baby da ist?
Alicja: Nach der Geburt möchte ich mir, meinem Partner und dem Baby alle Zeit geben, um als Familie anzukommen und zusammen zu wachsen. Solange ich stille, werde ich definitiv nicht arbeiten und danach werde ich sehen, wie die Bedürfnisse unseres Kindes sind. Falls das Baby mit einem Jahr ohne Probleme für ein paar Stunden alleine bei der Oma bleibt, könnte ich mir definitiv schon vorstellen, ein bis zwei kleine Termine pro Woche zu vergeben.
Das kann ich jetzt aber noch gar nicht absehen und möchte mich auch nicht festlegen. Ich denke, das entwickelt sich einfach aus der Situation heraus.
Was für finanzielle Aspekte gibt es zu bedenken?
Alicja: Selbstständige haben die Möglichkeit, sich bei der Krankenkasse zusätzlich mit Krankengeld zu versichern, wodurch man auch Anspruch auf Mutterschutzgeld hat. Auch Elterngeld wird an Selbstständige gezahlt und anhand des Steuerbescheides aus dem Vorjahr berechnet. Wählt man die Variante Elterngeld Plus, wird es über zwei Jahre gezahlt und man darf sich sogar etwas dazu verdienen, ohne dass alles auf das Elterngeld angerechnet wird.
Es gibt also definitiv auch Möglichkeiten für Selbstständige, um über die Runden zu kommen. Man muss sich einfach selbst über alle Varianten informieren und sich zeitig um alles kümmern.
Ann-Marie: Da meine Schwangerschaft nicht unbedingt so geplant war, habe ich mir vorher überhaupt keine Gedanken gemacht. Ich musste dann selber erstmal herausfinden, was mir zusteht und was es für Möglichkeiten für Selbständige gibt. Es war auch nicht wirklich einfach, da was rauszufinden, weil das alles nicht immer so eindeutig formuliert ist. Auch meine Krankenversicherung konnte mir erstmal keine klaren Antworten geben.
Elterngeld stand uns schon zu, es ist abhängig vom Einkommen und wird anders berechnet als bei Angestellten. Man hat auch die Möglichkeit das Elterngeld frei einzuteilen und vielleicht nicht nur ein halbes Jahr in Elternzeit zu gehen. Da empfehle ich auf jeden Fall ein persönliches Beratungsgespräch bei der Elterngeldstelle.
Den Mutterschutz und das Mutterschutz Geld gab es für mich nicht. Das Mutterschutzgeld ist an den Krankengeldanspruch gebunden. Hätte ich Anspruch auf Krankengeld gehabt, hätte ich auch Geld im Mutterschutz bekommen. Meine Krankenversicherung wurde runtergestuft in der Elternzeit, aber ich musste trotzdem noch jeden Monat einen Beitrag zahlen.
Gibt es noch etwas, was du Tätowier*innen mitgeben möchtest, die mit einem Kinderwunsch spielen?
Alicja: Wenn du ein gutes Gefühl dabei hast: Just do it! Kinder sind das schönste Geschenk der Welt! 🖤
Ann-Marie: Ich bin ehrlich, es ist nicht alles einfach gewesen. Trotzdem ist es möglich und jetzt im Nachhinein ist eh jedes Hindernis vergessen. Wenn man eine Schwangerschaft wirklich vorher plant, gibt es auch mehrere Möglichkeiten sich das ganze im Voraus schon zu erleichtern.
Hätte ich Anspruch auf Krankengeld gehabt, dann wäre einiges finanziell einfacher gewesen. Hätte ich es vorher geplant, hätte ich mehr Zeit gehabt eine Lösung für mein Ladenlokal zu finden. Ein kleines finanzielles Polster anzulegen, ist bestimmt auch nicht verkehrt, da man nie weiß, wie so eine Schwangerschaft verläuft. Ich hatte einfach eine Schwangerschaft, die etwas komplizierter war, aber mit Unterstützung kann man es wunderbar hinbekommen. Es gibt ja auch Frauen die sind fit bis kurz vor der Geburt. Ich denke, es kommt eh nie so, wie man es plant.
Eine Selbstständigkeit kann ja auch Vorteile mitbringen. Mein Freund, der auch selbstständig ist, und ich konnten uns die Betreuung wunderbar für uns passend einteilen.
Und um abschließend etwas Schlaues zu sagen: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg!
Ein riesengroßes Dankeschön an Alicja und Ann-Marie für ihre Offenheit und den kleinen Einblick ins Leben einer schwangeren Tätowiererin!
Falls ihr euch nun fragt, wie das Leben als Mutter und Tätowiererin so aussehen kann, findet ihr hier den passenden Artikel!
Feelfarbig wird immer kostenlos bleiben!