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More than a Tattooer: Dea Vectorink / PunkRock Unicorn
Die Angst um ihre Existenz ist vielen gerade schwer zu nehmen. Auch wenn die Einnahmen wegfallen, laufen die Ausgaben trotzdem weiter. Dabei ist es wichtig, sich von der Angst nicht blockieren zu lassen und die Zeit als solche zu nutzen – vor allem als Freizeit. Zeit, um seine Energie in andere Projekte zu stecken. Wie verrückt sich das erst einmal anfühlt und wie sie trotzdem gerade jetzt zu sich findet, erzählt uns Dea Vectorink hier.
Was hat sich bei dir, seitdem das Studio vorübergehend geschlossen ist, an deinem Alltag verändert?
In den ersten Tagen fühlte ich mich wie dieses John Travolta Meme. Man geistert durch die Gegend und weiß nicht so recht, was man tun soll. Seitdem der Laden zu ist, ist praktisch alles anders. Die eingespielte Routine findet nicht mehr statt und wir sind den ganzen Tag zu Hause. Zwar starten wir trotzdem früh in den Tag, aber der Fokus liegt auf unseren Tieren und all den Baustellen auf dem Hof, im Haus und im Garten, für die sonst nie genug Zeit ist. Ich finde es wichtig, sich beschäftigt zu halten, um nicht ins Gedankenkarussell einzusteigen, was einen erst wieder aussteigen lässt, wenn man bei den Existenzängsten angekommen ist. Ängste hemmen einen und sind deshalb nicht konstruktiv.
Was fehlt dir am meisten aus deinem Job im Alltag?
Meine Kollegen bzw. Mitarbeiter. Wir sind so ein kleines Team, teilweise verwandt. Das ist schon echt schräg, dass man sich gerade gar nicht sieht.
Was machst du gerade alternativ zum Tätowieren, um dich künstlerisch auszuleben?
Seit etwa zwei Jahren betreibe ich eine kleines Label namens PunkRock Unicorn für selbstgefärbtes Garn und Strickanleitungen. Das klingt ziemlich nach Oma-Hobby, aber genau dieses Vorurteil war der Grund, weshalb ich mich damit nebenberuflich selbstständig gemacht habe. Das Arbeiten mit Farben und Kontrasten kann ich dort genau so gut anwenden wie im Tätowier-Alltag. Durch das Stricken, was ja ein mechanischer, schon fast automatischer Prozess ist, kann ich außerdem mega gut von der Arbeit abschalten. So wie beim Tätowieren sieht man dann am Ende des Tages, was man geschafft hat, was man falsch gemacht hat, was man hätte besser machen können. Statt eines Tattoo hat man irgendwann ein Kleidungsstück in den Händen, was man wertschätzt und niemals leichtfertig wegwerfen würde. Es ist für mich auch ein leiser Weg raus aus dem blinden Konsum, hin zum bewussten Nutzen und Wertschätzen.
Gibt es Projekte, für die du gerade jetzt Zeit hast?
Da der Online-Shop nicht viel Gewinn abwirft, steht er im Alltag natürlich ganz hinten an. Wenn viele Projekte zu zeichnen sind, habe ich schlicht keine Zeit für den Färbeprozess und möchte mir nicht noch zusätzlich Stress machen. Obwohl die Instagram-Follower bei @tattooedknitters meist ganz heiß auf neue Ware sind, haha. Außerdem kam ich auch endlich mal dazu, älteres Merch rauszukramen und online zu stellen. Und da das Wetter so toll ist, konnten wir endlich unser Gewächshaus aufstellen, die Hochbeete in Form bringen, Pflanzen aussäen… all das, was irgendwie immer zu kurz kommt.
Was kannst du Positives aus der Situation mitnehmen?
Wenn man mal alle existenziellen Sorgen ausblendet, dann kann man sich in diesen Reichtum an Zeit fallen lassen. Ich habe eine aktuelle Kostenaufstellung gemacht und weiß, wie lange ich ohne Arbeit finanziell durchhalten kann. Das heißt, ich möchte diese Zeit, in der ich jetzt nichts weiter zu verlieren habe als meine gute Laune, bestmöglich nutzen. Sodass ich nachher sagen kann: Ja, das war unfreiwillig, aber schau mal, was wir in dieser Zeit geschafft haben! Ich hätte sonst niemals die Energie gehabt, mich bei einer Uni für einen Online-Kurs in Psychologie einzuschreiben. Jetzt ist das möglich.
Es soll bitte auch nicht so klingen, als würde mir die Arbeit keinen Spaß machen, aber sie ist schon sehr einnehmend und für viele von uns der absolute Schwerpunkt im Alltag. Manche Kollegen definieren sich sogar nur darüber. Da ist man dann irgendwann den ganzen Tag am Wuseln und Wirken und hat gar keine Zeit, die Dinge zu genießen, für die man das eigentlich alles macht. So langsam fange ich an zu hinterfragen, ob der berufliche Alltag nicht grundsätzlich umstrukturiert werden sollte. Denn wie oft nimmt man kostspielige Dienstleistungen wie beispielsweise den Lieferservice in Anspruch, nur weil man keine Zeit oder Energie mehr hat, sich selbst darum zu kümmern? Das ist Geld, was man sparen könnte und somit gar nicht erst verdienen müsste, wenn man mehr Zeit hätte.
In solchen Zeiten wird mir außerdem noch bewusster, wie privilegiert wir sind. Dieses romantisierte „wir machen es uns nett zu Hause“ geht eben nur, wenn man ein Zuhause und eine gefüllte Vorratskammer hat. Wenn man nicht jetzt schon Angst haben muss, ob man nächste Woche noch genug Geld hat, um seine Kinder satt zu bekommen. Ja, es ist scheiße, dass wir alle nicht arbeiten können, aber viele klagen auf verdammt hohem Niveau.
Tätowiererin Dea Vectorink
Dea’s Instagram: instagram.com/lastunicone
Tattoo-Studio: instagram.com/the_rusty_anchor_tattoo, Gerolstein
Dea’s Strick-Account: instagram.com/tattooedknitters
Online-Shop: punkrockunicorn.de