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“Tattoos sind Kunst!” – schon seit unserer Gründung ist dieses Statement ein Kerngedanke bei Feelfarbig, der uns bis heute begleitet. Auch viele unserer Leser*innen und Interviewpartner*innen sehen es ähnlich: “Natürlich sind Tattoos Kunst. Was denn auch sonst?”
Doch laut einigen Institutionen handelt es sich beim Tätowieren angeblich nicht um Kunst, sondern vielmehr um ein Handwerk bzw. Kunsthandwerk. Diese Einordnung hat leider auch negative Auswirkungen für Tätowierer*innen, welche wir heute einmal erläutern möchten.
Künstlersozialkasse
Seit 1983 ist das Künstlersozialversicherungsgesetz in Kraft, welches selbständigen Künstler*innen sozialen Schutz in der gesetzlichen Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung bietet. Wie Arbeitnehmer*innen zahlen sie dann die Hälfte der Versicherungsbeiträge, während den anderen Anteil die Künstlersozialversicherung (KSV) finanziert.
Die Künstlersozialkasse (KSK) meldet die versicherungspflichtigen Künstler*innen bei den Kranken- und Pflegekassen sowie der Rentenversicherung an und leitet die Beiträge an die zuständigen Träger weiter.
In ihren FAQ schreibt die Künstlersozialkasse, dass Voraussetzung für die Versicherung nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz “die Ausübung einer auf Dauer angelegten selbständigen künstlerischen Tätigkeit in erwerbsmäßigem Umfange” sei. Dabei zählt als Künstler*in im Sinne dieses Gesetzes, “wer Musik, darstellende oder bildende Kunst schafft, ausübt oder lehrt.”
Unserem Verständnis nach müssten auch zahlreiche Tätowierer*innen dieser Definition nach Zugang zur KSK erhalten. Dennoch bleibt ihnen dieser in der Regel verwehrt, da sie von der KSK als Kunsthandwerker*innen und nicht als Künstler*innen verstanden werden.
Ausnahmen? Nicht so einfach…
Einige Tattoo Artists versuchten es trotzdem und gingen mit ihrem Wunsch zur Feststellung der Versicherungspflicht nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) für ihre Tätigkeit als selbstständige*r Tätowierer*in vor Gericht.
Immer wieder angeführt wird dabei ein mittlerweile 14 Jahre altes Urteil des Bundessozialgerichts von 2007. Dort wurde dem klagenden Tätowierer der Beitritt zur KSK verwehrt, da die Tätigkeit des Tätowierens “nicht schon dadurch künstlerisch wird, dass im Einzelfall nicht nach vorhandenen Mustern oder Schablonen gearbeitet, sondern das Motiv selbst gestaltet wird; denn dies ist auch für das Kunsthandwerk typisch.” Als Tattoo-Designer*in hingegen könne man der KSK beitreten, da diese “sich auf das Entwerfen und Zeichnen von Tattoo-Motiven und Vorlagen als Arbeitsmittel für Tattoo-Studios beschränken, ohne selbst die Entwürfe auf die menschliche Haut zu übertragen.”
Im Rahmen einer Einzelfallentscheidung konnte Tätowierer Heiko Gantenberg, bekannt als “Dr. Notch”, den Status eines bildenden Künstlers anerkannt bekommen und so in die KSK aufgenommen werden. 2019 gründete er den Verein Tätowierkunst e.V. und ist als dessen Vorsitz tätig. Als Ziel verfolgt der Verein die Etablierung des Tätowierens als Erscheinungsform der bildenden Kunst sowie die
Anerkennung der Tätowierkunst als immaterielles Kulturerbe, einhergehend mit deren Erhalt und Schutz.
Eine Stimme aus der Politik
In einem gestrigen Post teilte der Tätowierkunst e.V. nun ein Schreiben der CDUlerin Saskia Ludwig. Diese wandte sich als Mitglied der CDU-Fraktion des Bundestages mit klaren Worten an die Künstlersozialkasse. Sie verdeutlicht das Wachstum und die Entwicklung der Tattoo-Szene sowie die damit einhergehenden Anforderungen an Tätowierer*innen. So schreibt sie, dass das bloße Nachzeichnen von Motiven heute nicht mehr ausreiche, sondern kreative und einzigartige Motive entwickelt werden müssen, um den Marktanforderungen gerecht zu werden. Zudem stellt sie klar, dass die Branche somit bildende Kunst schaffe und sich deutlich über dem Level des bloßen Kunsthandwerks bewege.
Auch auf ihrem eigenen Instagram-Account schenkte Frau Ludwig dem Thema heute nochmal Beachtung. Dort schrieb sie unter Verlinkung des Tätowierkunst e.V.:
“[…]Ich rege deshalb bei aller gebotenen Abwägung an, den Weg frei zu machen und Tätowierern den Zugang zur Künstlersozialkasse, nach denselben Kriterien wie anderen Künstlern, zu ermöglichen. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie meiner Anregung entsprechen würden.[…]”
Erfreulich!
Die klaren Worte der Politikerin sind in unseren Augen sehr erfreulich. Wir hoffen, dass noch weitere Politiker*innen und (von der KSK) anerkannte Künstler*innen sich mit dem Thema der Tätowierkunst auseinandersetzen und ihr zu der verdienten Anerkennung verhelfen!
PS: Wir möchten betonen, dass wir weder Frau Ludwig noch ihre Partei in irgendeiner Form positiv hervorheben wollen. Alles andere, was über das Schreiben und den damit verbundenen Einsatz für das Thema hinausgeht, möchten wir an dieser Stelle nicht bewerten.
- Bundessozialgericht, Urteil vom 28.02.2007, Az. B 3 KS 2/07 R
- Website der Künstlersozialkasse [Aufruf: 28.06.2021]
- Sozialgericht Hamburg, Urteil vom 18. Juni 2020, Az. S 48 KR 1921/19
- Sozialgericht Saarland, Urteil vom 9. Juni 2020, Az. L 1 R 23/19
- Website des Tätowierkunst e.V. www.taetowierkunst.org [Aufruf: 28.06.2021]
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