Das erste Jahr als selbstständige Tätowiererin – und dann kam Corona

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Das letzte Jahr war wohl für die meisten Tätowierer:innen alles andere als einfach. Auch für Tätowiererin Vanessa Prison (@vannii.ink) brachte 2020 einige Hürden mit sich. Bereits 2015 begann Vannii mit dem Tätowieren und bringt seitdem ihre zuckersüßen kleinen Kunstwerke unter die Haut.

Dabei ist ihr vor allem wichtig, sich selbst und ihren Werten treu zu bleiben. Falls ihr ein Motiv mal nicht so liegt, empfiehlt sie lieber eine:n Kolleg:in, der:die das Tattoo ihrer Meinung nach besser umsetzen könnte. Außerdem legt sie großen Wert auf das Wohlbefinden ihrer Kund:innen und steckt ihre Kraft lieber da hinein als in Social Media.

Vor gut einem Jahr haben wir schon einmal mit Vannii geschrieben und ein kleines Interview vereinbart. Dieses sollte eigentlich jetzt stattfinden und von ihrem ersten Jahr als selbstständige Tätowiererin handeln. Nun kam alles ein bisschen anders als geplant, aber davon erzählt sie euch im Folgenden selbst!

Tätowiererin Vanessa Prison / @Vannii.ink
Tätowiererin Vanessa Prison / @Vannii.ink

Mein erstes Jahr Selbstständigkeit

Im November 2019 habe ich endlich meinen Abschluss der „Rhein-Sieg-Akademie der realistisch bildenden Kunst und Design“ in den Händen gehalten. Viereinhalb Jahre ging diese künstlerische Ausbildung nun und genauso lange tätowierte ich nebenher, um mir diese private Akademie leisten zu können. Mein altes Studio habe ich kurz vor meinem Abschluss verlassen, da ich das Gefühl hatte, mich neu orientieren zu wollen.

Die nächste Etappe sollte Köln sein. Vorher bin ich jedoch vorübergehend in meiner Heimat im Studio einer Freundin untergekommen. Ich wollte noch wichtige Dinge klären und etwas Geld beiseitelegen, denn der Abschluss hatte all meine Rücklagen gefressen.

Es stellten sich folgende Fragen: Brauche ich jetzt eine:n Steuerberater:in? Was brauche ich für Versicherungen? Krankenkasse? Buchhaltung? Freiberufler:in oder Gewerbe?

2020 startete noch voller Tatendrang und Träume! / Tattoo von Vannii
2020 startete noch voller Tatendrang und Träume! / Tattoo von Vannii

Ich war zuvor schon gewerblich gemeldet und habe meine Buchführung selbst gemacht, war mir allerdings nie ganz sicher, ob ich es richtig mache. Nach viel Recherche und Austausch mit Kolleg:innen kamen am Ende auch gefühlt 100 verschiedene Wege heraus, wie man als Tätowierer:in tätig sein kann. Zugegeben, ich habe nicht in so vielen verschiedenen Studios gearbeitet, aber die Systeme waren immer sehr unterschiedlich. So schwankten diese von Konditionen bis hin zur Festmiete. Sollte nun alle ihren eigenen Papierkram erledigen oder rechnete man in einer gemeinsamen Kasse seinen Provisionsanteil ab? Bestellt nun jede:r eigene Materialien oder wirft man in einem gemeinsamen Topf zusammen?

Nichts kann mich aufhalten!

Ich war total euphorisch und auch zuversichtlich, dass sich all die Fragen von alleine lösen werden und habe schon ganz andere Pläne geschmiedet. Erstmal eine tolle Online-Präsenz aufziehen! Viele Follower zu haben ist immerhin wichtig und zeigt, wie (un-)professionell man ist – aber dazu später mehr!

Guestspots, Conventions, Merchandise, Prints, Ausstellungen, vielleicht Preise gewinnen! Ich habe mich gefühlt, als könnte mich nichts mehr aufhalten. Immerhin hatte ich schon einen absolut liebenswerten Kund:innenstamm und es hat mich zutiefst geehrt, dass Menschen aus ganz Deutschland extra zu mir kamen.

Gepusht wurde das Ganze noch, als mich Dirk-Boris Rödel anschrieb und mich persönlich gefragt hat, ob ich nicht Interesse an einer Doppelseite im „Tätowierer-Jahrbuch“ hätte. Natürlich war das nicht kostenlos, aber ich fühlte mich dennoch geehrt, dass ich scheinbar aufgefallen bin und jemand „aus der Szene“ auf mich zugekommen ist.

Vanniis Motive sind stets farbenfroh!
Vanniis Motive sind stets farbenfroh!

Schnitt – und hallöchen Corona!

Na ja, dann kam eben Corona – ihr kennt die Story. Kurz vor dem ersten Lockdown hatten wir im Laden auch noch einen Wasserschaden. Also konnte ich von Februar bis Mai nicht arbeiten und meine Rücklagen waren nicht unendlich. Die Euphorie, mit der das Jahr 2020 begann, war hinfort. Ich hatte plötzlich nichts mehr zu tun und mein Leben war bis dahin super rasant – jetzt Stillstand! Die Situation war für alle scheiße und mich hätte es viel schlimmer treffen können, aber holy… war das schwierig!

Mit meiner Gesundheit ging es etwas bergab. Angefangen mit Schlafstörung, Grübeln, Panikattacken und diversen Ängsten. Mein Körper hat auch einfach nicht mehr mitgemacht. Jeden Morgen bin ich mit Übelkeit wach geworden und hatte Schwächeanfälle, Herzrasen und ein Taubheitsgefühl in den Gliedern. Alleinsein war quasi nicht möglich und mein Freund musste mir ziemlich viel Beistand leisten.

Ich konnte keine Bilder malen, Auftragsarbeiten machen oder sonst was Sinnvolles tun. Ich definiere mich sehr durch meine Arbeit, auch abseits vom Tätowieren, aber all das war gesundheitlich nicht mehr möglich. Dazu kamen dann noch mehr Ängste wegen des Pigmentverbots und anderer bisher ungeklärten Hürden, die dem Tätowieren vielleicht noch bevorstünden.

Kurzgefasst: Eine ziemliche Existenzkrise.

Tattoo von Vannii
Vanniis erstes Jahr Selbstständigkeit lief leider anders als geplant. / Tattoo von Vannii

Wachsende Zweifel

Ich bin dann in Therapie gegangen, um irgendwie einen Umgang mit der Situation zu finden. Als der erste Lockdown dann vorüber war, wurde es aber nur bedingt besser. Von den sonst so vielen Stunden, die ich täglich mit dem Tätowieren verbracht habe, sind nur noch 2 – 3 geblieben. Es ging plötzlich nicht mehr. Ich habe teilweise vor und nach den Terminen viel geweint und musste es während der Sitzungen arg unterdrücken. Das Tätowieren hat mich sonst durch jede Zeit getragen, die unerträglich war, und plötzlich schien das auch nicht mehr möglich.

Die Selbstzweifel waren riesig. Ist das der richtige Job für mich? Bin ich eine zu große Heulsuse für das Tätowieren? Bin ich überhaupt gut genug? Was ist, wenn ich den Job nicht mehr ausüben kann? Wenn ich in keinem Studio unterkomme? Wenn ich nicht ernst genommen werde? Wo ist mein Platz in diesem Business?

Einen Weg hinaus finden

Social Media war ein ganz großer Faktor, über den ich nachgedacht habe. Ich bin relativ aktiv gewesen, wobei Instagram auch nie wirklich mein Ding war. Die negativen Gefühle wurden aber auch immer stärker. Irgendwie war ich nicht mehr zufrieden mit meinem Auftritt. So viele Tätowierer:innen und Künstler:innen hatten so viel mehr Follower und waren so viel aktiver! Meiner Identifikation widersprach das einfach und so kam eine Angst auf, nicht mithalten zu können.

Ich beschäftigte mich intensiv mit mir und meiner Sicht aufs Tätowieren. Es gibt 100 verschiedene Meinungen und Ansichten im Bezug aufs Tätowieren – und das ist okay! Ich hörte unzählige Folgen des Podcasts „Zuerst war die Haut“ und sah stundenlang die Sendung „Inkmasters“ (es war so schön dramatisch!). Nachdem ich noch etliche Tattoo-Bücher gelesen und generell recherchiert hatte, wurde mir klar, dass es genau genommen kein richtig und falsch gibt.

Niedliche Ratte, tätowiert von Vannii
Niedliche Ratte, tätowiert von Vannii

Ich habe auch die Ausgaben von „Tat2talk“ gesehen und bin dem Verein „Tätowierkunst e.V.“ beigetreten, der sich für die Anerkennung des Tätowierens als Kunstform einsetzt. Mich nochmal so sehr mit verschiedenen Seiten des mittlerweile so kommerziellen Tattoo-Business auseinanderzusetzen, hat mir viel gegeben. Vielleicht klingt das etwas seltsam, aber durch die vielen verschiedenen Darstellungen der Tätowierkunst wurde ich irgendwie wieder zuversichtlicher.

Social Media ist nicht alles

Ich bin definitiv keine Social Media-Person, aber das ist okay! Gerade das Kommerzialisieren des Tätowierens im Internet bereitet mir aber Bauchweh. Ich komme einfach nicht so gut damit zurecht, jeden Tag fünf neue Pflegeprodukte extra für Tattoos zu sehen oder diverse andere Werbungen für „seriöse“ Tattoo-Plattformen. Deshalb mache ich des Öfteren einen Social Media Detox und nehme etwas Abstand.

Auf der anderen Seite finde ich es supercool, wie manche Kolleg:innen kreativ mit den Storys spielen und richtig guten Content machen, um ihre Kund:innen tagtäglich mit auf eine Reise nehmen! Ich merke da immer, wie viel Freude es ihnen bereitet und dass es von Herzen kommt! Ein Gedankenanstoß zu diesem ganzen Social Media-Zeug war tatsächlich ein Tattoo-Künstler aus Hamburg (an dessen Namen ich mich gerade nicht erinnern kann – sorry!). Meiner Meinung nach hat er viel zu wenig Follower für das hohe Level seiner Arbeit. Seine Sachen sind wirklich wunderschön. Da wuchs in mir der Gedanke, dass die Zahl der Follower eben nichts bis kaum etwas über deine Fähigkeiten aussagt.

Am Ende muss ich als Selbstständige überleben, meine Miete zahlen und gute Arbeit leisten. Alles danach ist super individuell. Dem einen ist es wichtig, bekannt zu sein, dem anderen ist es wichtig, viel Kohle zu machen, wieder anderen ist es wichtig, ihre Skills permanent zu verbessern.

Fuchs und Mohnblumen, tätowiert von Vannii
Fuchs und Mohnblumen, tätowiert von Vannii

Ein lehrreiches Jahr

Durch Corona habe ich vielleicht gelernt, was ich vom Tätowieren und von meiner Selbstständigkeit will und wo ich meinen Platz sehe. Ich glaube, dass es mir wichtig ist, einen supersüßen und verständnisvollen Kund:innenstamm zu haben. Zeit zu haben für meine Kund:innen, meine Kunst und um meine Skills immer weiter zu verbessern. Einfach jeden Monat meine Miete zahlen zu können. Ich möchte gerne, sobald es wieder möglich ist, eine tolle Zeit mit dem Tätowieren haben und tolle Erinnerungen sammeln und natürlich auch kreieren.

Das erste Jahr Selbstständigkeit war somit absolut hart und anstrengend, aber es kann nur besser werden! Ich habe einiges über mich gelernt und vielleicht war diese entschleunigte Zeit absolut das, was ich gebraucht habe, um dann bald bodenständig durchstarten zu können!


An dieser Stelle noch einmal ein ganz herzliches Dankeschön an Vannii, die uns einen so schlimm-schönen Einblick in ihr letztes Jahr gab. Wir wünschen dir (und allen anderen), dass es bald wieder richtig losgeht und du das Tätowieren endlich wieder genießen kannst!

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