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Viele traditionelle Tattoo-Werkzeuge und Techniken kamen und kommen ohne Strom aus. Nun wurden verschiedene dieser Werkzeuge und Techniken in einer experimentellen Studie nachgestellt und auf menschlicher Haut verwendet. So sollen mehr Erkenntnisse über diese traditionellen Praktiken erlangt werden.
Archäologie mit Körpereinsatz
Hinter der Studie stecken der Archäologe Aaron Deter-Wolf, der Tätowierer Danny Riday sowie die Inuk-Tätowiererin Maya Sialuk Jacobsen. Für den praktischen Teil der Studie gab Danny sein Bein her. Auf diesem er tätowierte er sich selbst mit verschiedenen Tattoo-Techniken bzw. -Werkzeugen achtmal dasselbe Motiv.
Um die Unterschiede zwischen den Techniken besser beurteilen zu können, haben sie den gesamten Prozess dokumentiert. Somit gibt es sowohl Aufnahmen der Resultate direkt nach dem Tätowieren sowie nach 6-monatigem Abheilen.
Traditionen verstehen und Wissen bewahren
Zahlreiche menschliche Überreste und Artefakte belegen es: die Geschichte des Tätowierens umspannt quasi die gesamte Welt. An über 50 archäologischen Stätten und auf 5 Kontinenten verstreut fand man bereits tätowierte Mumifizierte. Auch zeitlich betrachtet, ist das Tätowieren sehr weitreichend. So soll die Praktik bis ins vierte Jahrhundert vor Christus zurückreichen.
Nun soll die jetzige Studie dabei helfen, Aufschluss über erhaltene Tätowierungen und tätowierte Mumien in archäologischen Stätten zu geben. Dabei lag der Fokus auf Stätten in Grönland und den Anden. Welche Tattoo-Techniken wurden dort damals traditionell verwendet? Mit welchen Werkzeugen wurden die Tattoos angefertigt? Um diese Fragen zu beantworten, fehlt häufig das Wissen aus erster Hand von professionellen Tätowierer*innen oder denen, die diese traditionellen Praktiken ausüben.
Die Autor*innen der Studie betonen, dass sie die besonderen Fähigkeiten vieler der Tätowierer*innen vorneuzeitlicher Gesellschaften würdigen möchten. Es ist eindeutig, dass dieses traditionelle und kulturelle Wissen über die Praktiken sich über Generationen hinweg gebildet und weiterentwickelt hat. So erhielten die Tattoo-Werkzeuge und Techniken mit der Zeit etwas Feinschliff, bis die gewünschten Resultate zustande kamen.
Nicht-elektrisches Tätowieren auf menschlicher Haut
Vor dieser experimentellen Studie auf menschlicher Haut wurden Abnutzungen traditioneller Tattoo-Werkzeuge bisher auf Schweinehaut untersucht. Die durch entstandenen Abnutzungen am Werkzeug sollen Rückschlüsse auf die Technik, mit der das Werkzeug verwendet wurde, liefern.
Auch einige professionelle Tätowierer*innen haben bereits eine Vielzahl traditioneller Tattoo-Werkzeuge auf menschlicher Haut getestet. Dabei wurde jedoch kein Vergleich zwischen verschiedenen Werkzeugen und Techniken dokumentiert, wie es in dieser Studie nun gemacht wurde.
Natürlich gibt es auch heute noch professionelle Tätowierer*innen und indigene Anwender*innen, die sich tradtioneller Werkzeuge und Techniken bedienen. Doch auch hier werden die Ergebnisse nicht miteinander verglichen und das Tätowieren findet nicht unter experimentell kontrollierten Bedingungen statt.
Daher ist die nun veröffentlichte Studie ein erster direkter Vergleich zwischen verschiedenen traditionellen Tattoo-Werkzeugen und Techniken. Um das Ganze noch besser vergleichbar zu machen, fertigten sie alle Tätowierungen am selben Tag an. Dabei hat Tätowierer Danny Riday alle acht Tätowierungen auf seinem eigenen Bein ausgeführt und den Heilungsprozess begleitet.
Traditionelle Tattoo-Techniken ohne Strom
Die ohne Elektrizität auskommenden Techniken, die verwendet wurden, sind Hand Poking, Hand Tapping, Inzision und Subdermal Tattooing. Alle verwendeten Werkzeuge fertigten die Autor*innen selbst an, wobei sie auch hier möglichst auf Elektrizität verzichtet haben.
Hand Poking: Einstechen
Beim Hand Poking wird das Tattoo-Werkzeug mit einem Griffstück gehalten und die Farbe direkt in die Haut gestochen. Zum Tätowieren wurden hier der gespitzte Knochen eines Weißwedelhirschs, eine kupferne Nähahle, ein Obsidian-Splitter und eine moderne Tattoo-Nadel verwendet.
Hand Tapping: Einklopfen
Hand Tapping funktioniert durch das Einklopfen oder Einhämmern von Farbe. Hierbei wird zum Beispiel eine Art Kamm an einem Griff verwendet, welcher mit einem Schlägel bedient wird. In ihrem Experiment haben die Autor*innen hierfür einen spitzen Tölpelknochen und einen Kamm aus einem Eberzahn verwendet.
Inzision: Einritzen und reiben
Die Inzision arbeitet nach dem Prinzip “aufschneiden und reinreiben”. Die oberste Hautschicht wird also angeritzt und anschließend werden Pigmente in die offene Haut gerieben. Hier wurde dafür erneut ein Obsidian-Splitter verwendet.
Subdermal Tattooing: Einnähen
Die letzte Technik, die nachempfunden wurde, war das Subdermal Tattooing. Diese Methode wurde nur in der Nordpolarregion und Teilen Südamerikas verwendet. Besonders stark wird diese Praktik mit der Inuitkultur verbunden. Hier nähte man die Tattoofarbe quasi in die Haut ein, indem eine spitze Nadel aus Knochen durch die oberen Hautschichten geführt wird. Dabei zieht die Nadel einen in Farbe getränkten Faden hinter sich her. Der Faden verbleibt nicht in der Haut, sondern bringt lediglich die Farbe ein.
Pflege und Nachsorge
Nach dem Tätowieren versorgte Tattoo Artist Danny Riday sich dann wie gewohnt. Er reinigte die Tattoos mit Wasser und Seife, trug lockere Kleidung und nutzte eine Heilsalbe.
Die Tätowierungen, welche mit den Obsidian-Werkzeugen angefertigt wurden, zeigten frühe Anzeichen einer Infektion. Dementsprechend behandelte er diese zusätzlich mit einer antibakteriellen Salbe.
Wie sahen die Tätowierungen aus?
Tatsächlich unterschieden sich die Resultate zwischen den verschiedenen Tattoo-Werkzeugen und Techniken ganz eindeutig.
Ein kleiner Einblick
Die abgeheilten Tattoos bieten nun einen kleinen Einblick in die breitgefächerte Thematik des vormodernen Tätowierens.
Während in dieser Studie mithilfe von Subdermal Tattooing keine konstanten Linien erzeugt werden konnten, wurden von zahlreichen Inuit-Frauen sehrwohl klare Linien ohne Blowouts genäht. Dies könnte daran liegen, dass sie generell mehr mit der Nähkunst vertraut waren und natürlich auch einen gewissen Erfahrungsgrad hatten.
Der deutliche Unterschied von Dannys Subdermal Tattoo und denen erfahrener Inuit unterstreicht nochmal, dass solche traditionelle Techniken besonders über das weitergegebene Wissen zwischen Generationen ihre Qualität erlangen.
Traditionelle Tattoos: Welche Technik, welches Werkzeug?
Bereits jetzt konnten die Ergebnisse dieser Tattoo-Studie ein paar weitere Erkenntnisse liefern. Bisher vermuteten Archäolog*innen, dass die erhaltenen Tattoos von Mumien in den Anden mittels Subdermal Tattooing, Inzision oder Hand Poking angefertigt wurden. Doch leider fand man keine passenden Tattoo-Werkzeuge an der Stätte, um diese Hypothese zu bestätigen. Mit den hier gewonnenen Daten konnte man nun feststellen, dass die Anden-Tattoos eindeutig nicht via Subdermal Tattooing angefertigt wurden. Stattdessen deuten die Feinheiten im Tattoo mehr auf Hand Poking hin.
Auch in Qilakitsoq (Grönland) wurden mehrere tätowierte Mumien gefunden. Nach ihrer Entdeckung wurden jedoch keine Unterschiede zwischen ihren Tätowierungen beschrieben. Als Co-Autorin Maya Sialuk Jacobsen diese Mumien selbst untersuchte, stellte sie fest, dass eine Mumie aus der Gruppe circa 3-mal dickere Linien auf der Stirn trug als die anderen. Diese breiteren Linien entstanden wahrscheinlich nicht mittels der dort verbreiteten Technik, dem Subdermal Tattooing. Stattdessen vermuten die Autor*innen nun, dass diese Tattoos mittels Hand Poking angefertigt wurden.
Mehr zu den Autor*innen
Für uns ist die hier geleistete Arbeit wirklich einmalig. Dass die Autor*innen sich diesem Projekt über einen so langen Zeitraum gewidmet haben und Körpereinsatz zeigten, ist bemerkenswert. Geteilt wurde ihre Studie über die frei für alle erreichbare Plattform “EXARC“. So kann jede*r auf dieses Wissen zurückgreifen und sich mit etwas mehr mit diesen traditionellen Tattoo-Werkzeugen vertraut machen.
Wer sich generell für Tattoo-Ärchaologie und -Geschichte interessiert, sollte auf jeden Fall @archaeologyink bei Instagram folgen – dort wirkt Archäologe Aaron Deter-Wolf mit.
Den Tattoo-Account von Danny Riday, der sich viel mit traditionellen Tattoo-Werkzeugen beschäftigt, findet ihr unter @totemic_tattoo.
Und auch Inuk-Tätowiererin Maya Sialuk Jacobsen findet ihr bei Instagram. Darüber hinaus betreibt sie den Account @inuittattootraditions, auf welchem sie Inuit-Praktiken, -Tattoos und -Geschichte behandelt.
- Aaron Deter-Wolf, Danny Riday, Maya Sialuk Jacobsen (2022) Examining the Physical Signatures of Pre-Electric Tattooing Tools and Techniques. EXARC Journal Issue 2022/3. Veröffentlicht am 15.09.2022.
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