Kanye West und andere Free-Font Opfer

Kanye West / Free-Fonts

Dein Support für Feelfarbig 🖤Hi! Schön, dass dir unsere Arbeit gefällt. Unsere Recherchen und Beiträge sind stets unabhängig und für dich kostenlos. Damit das auch so bleiben kann, freuen wir uns über deine Unterstützung. Vielen Dank! ✌️

Wie euch vielleicht schon aufgefallen ist, interessieren wir uns nicht wirklich für tätowierte Promis. Auch nicht, wenn sie Kanye West heißen und eine Selbstwahrnehmung besitzen, die mit „völlig durchgeknallt“ noch untertrieben beschrieben wäre. Wenn man dann doch mal durch irgendein Promi-Magazin blättert, stellt man sich folgende Frage: Wie kommen Menschen mit so viel Geld eigentlich an so schlechte Tattoos? Nein, liebe Fußballspieler der ersten Bundesliga, ihr müsst eure Arme jetzt nicht schnell verstecken. Denn wir möchten heute gar nicht urteilen – sondern aufklären!

Also machen wir mal eine Ausnahme und erzählen euch, was Kanye West passiert ist. Denn weshalb sich viele diese Woche über Kanye lustig machen, ist dieses eine Mal gar nicht seine eigene Schuld. Wenn er nicht vorher das Internet nach seiner Meinung gefragt hätte, wäre er bald Mitglied im Club der Free-Font Opfer.

Was sind überhaupt Free-Fonts?

Moment, fangen wir doch mal ganz vorne an. Um diese Frage zu beantworten, müssen wir zunächst wissen, woher Schriftarten überhaupt kommen. Von Microsoft? Oder doch Apple? Die sind ja einfach beim Betriebsystem mit dabei! Naja, fast! In der Tat werden sie manchmal von diesen Unternehmen in Auftrag gegeben, doch die Typografie an sich gibt es schon, seitdem die Menschheit schreiben kann. Schon damals wurden Schriftarten gestaltet. Spätestens seit der Erfindung des modernen Buchdrucks im Jahre 1460 von Johannes Gutenberg, spricht man beim Gestalten von Lettern von der Kunstform der Typografie. Eine der mittlerweile bekanntesten Schriftarten ist zum Beispiel die „Helvetica“ – 1956 vom schweizer Grafiker Max Miedinger entworfen.

Die Helvetica im popkulturellen Einsatz.
Die Helvetica im popkulturellen Einsatz.

Vielen ist es vielleicht nicht bewusst, weil wir Schriftarten oft als selbstverständlich ansehen, doch das Handwerk der Typografie ist vergleichbar mit dem der Illustration. Nicht jeder kann es, es gibt unzählige Stile und häufig glauben Menschen, dass man „nur mal so eben ein paar Striche machen muss“ und zack: fertig ist die Illustration – oder eben Schriftart.

Doch was ist denn nun mit diesen kostenlosen Fonts?

Spätestens seit dem Internet verbreiten sich Schriftarten rasend schnell. Für Grafikdesigner, die nach professionell entworfenen Schriftarten suchen, gibt es Publisher-Plattformen wie fontshop.com. Dort kann man sich Nutzungslizenzen kaufen, wie zum Beispiel die des bekannten deutschen Typografen Erik Spiekermann („FF Meta“ und „ITC Officina“).

Da die Preise für die Fonts, welche oft über Jahre hinweg entworfen worden, einigen als zu hoch erscheinen, haben sich kostenlose „Alternativen“ entwickelt. Auf dafont.com findet man tausende Schriftarten, die von Studenten und anderen Amateuer-Typografen gestaltet und frei erhältlich angeboten werden. Gedacht sind diese meist allerdings nur für den privaten Gebrauch (Achtung, merken!). Diese Schriftarten sind für bestimmte Einsätze in Ordnung, allerdings ist der Großteil mangelhaft entworfen. Oft fehlen wichtige Sonderzeichen oder der Abstand der Buchstaben (Laufweite) ist unausgeglichen. Je aufwendiger die einzelnen Letter gestaltet wurden, desto weniger wurde darauf geachtet, wie sie nebeneinander aussehen. Kurz gesagt: Kostenlose Fonts sind niemals so fein ausgearbeitet und mit künstlerischem Anspruch perfektioniert, wie professionell entworfene Schriftarten.

Und was hat ein Free-Font jetzt mit Kanye West zu tun?

Kanye hat vor einigen Tagen bei einem Freund ein Tattoomotiv in Auftrag gegeben. Es sollte der Name seines Sohnes Saint West werden. Sein Fashion-Designer-Freund Gosha Rubchinskiy übernahm den Auftrag und schickte ihm bald folgendes Motiv.

Nun kann man natürlich immer über Geschmack streiten, doch bei einer Sache sind sich die meisten einig: Ein Tattoo sollte einzigartig sein. Ein Kunstwerk, das für sich steht. Für dich entworfen. Einverstanden? Dann erklären wir jetzt mal, was der vermeintliche Tattoo-Designer Gosha tat. Er ging auf dafont.com, klickte sich durch ein paar Seiten, lud sich eine Schriftart runter und installierte sie. Dann öffnete er (wahrscheinlich) Adobe Illustrator, tippte die Buchstaben „S, a, i, n, t, W, e, s, t“ in sein Macbook und speicherte das ganze als Vorschlag für ein einzigartiges Tattoo-Design.

Das "einzigartige" Tattoodesign von Gosha Rubchinskiy – als Free-Font auf dafont.com
Das „einzigartige“ Tattoodesign von Gosha Rubchinskiy – als Free-Font auf dafont.com

Joa, und jetzt?

Haben wir da ein „Ja, und?“ aus der letzten Reihe gehört, von jemandem, der das ganz genauso macht? Ganz einfach: Wenn man eine Schriftart nutzt, um sie für einen Flyer, ein Poster oder eine Website zu nutzen, ist das legitim. Du nutzt das Font, um mit ihr etwas Neues zu kreieren. Die Schriftart wird zum Werkzeug. Was allerdings Gosha Rubchinskiy und leider immer noch viele Tätowierer machen, ist damit vergleichbar, das Tattoomotiv eines anderen Tätowierers zu kopieren. Tätowierer, die ein Free-Font aus dem Internet für typografische Tattoos nutzen, bedienen sich an der Kreativleistung anderer und verdienen im Normalfall auch noch Geld damit.

Doch das größte Problem ist natürlich, dass sich jeder Mensch auf der Welt in drei Minuten das gleiche Tattoo entwerfen kann. Oder eine Kindergeburtstagseinladung, die dann so aussieht, wie dein Tattoo auf dem Arm. Wenn du gerne ein typografisches Tattoo auf dir tragen möchtest, frag deinen Tätowierer, ob er sich mit Lettering auskennt. Falls er dies mit „Ja klar, ich hab tausende Schriftarten parat!“ beantwortet, während er dafont.com in seinen Browser tippt, bist du an der falschen Adresse.

Also, wende dich mit deinem Typografie Wunsch an einen Fachmann – wie zum Beispiel Dustin Levi! Sei klüger als Kanye.

Das könnte dir auch gefallen