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Sich tätowieren zu lassen ist in der Regel etwas sehr Intimes. Abgesehen davon, dass du dich dem*der Künstler*in stundenlang freiwillig oft leicht bekleidet aussetzt und einer meist fremden Person dein vollstes Vertrauen schenkst, ist ein Fakt besonders wichtig: Du heiratest die Person – zumindest visuell. Das mag jetzt erstmal albern klingen, aber ohne immensen Aufwand gehst du mit dieser Person, oder zumindest ihrer Arbeit, einen Bund fürs Leben ein.
Grundsätzlich ist daran erstmal nichts auszusetzen. Schon gar nicht, wenn man sich mit der Person gut versteht, die einem mit zahlreichen Nadeln Farbe unter die Haut jagt. Während des Tätowierens quatscht man über die verschiedensten Dinge des Lebens, tauscht sich über Musik aus oder albert rum. Man philosophiert über die absurdesten Themen, gibt die persönlichen Serien-Highlights der letzten Monate preis oder lauscht einfach nur gemeinsam dem Surren der Maschine.
Manchmal ist man aber auch mal nicht ganz auf einer Wellenlänge. Man kommt einfach aus zwei Welten und hat unterschiedliche Interessen. Und das ist auch völlig in Ordnung! Ich kann die Arbeit von jemandem schätzen, ohne gleich mit dieser Person in die nächste Bar spazieren zu müssen, um mit ihm*ihr stundenlang halb angetrunken über alberne Witze zu lachen. Denn vielleicht mag mein*e Tätowierer*in gar keine Bars. Oder alberne Witze.
Wenn es also zwischen dem Tattoo Artist und dir nicht so richtig klick macht, ist das kein Weltuntergang. Man trennt einfach die private und die künstlerische Beziehung zueinander. Schließlich möchte man ja auch nur ein Tattoo und keine*n neue*n beste*n Freund*in. Diese klare Trennung ist manchmal jedoch nicht so einfach und hängt auch vom eigenen Charakter ab. Aber eine distanziertere Beziehung zu deinem Tattoo Artist aufzubauen ist nichts Schlimmes. Man schaut sich ja auch schöne Bilder von Van Gogh an, ohne jedes Mal beim Betrachten zu denken “Alter, das mit dem Ohr, ne? Megafail.”
Der Worst Case
Nun kommen wir aber zum schlimmsten Fall: Der*die Tätowierer*in stellt sich als Arschloch raus. Das passiert nach einer guten Recherche vorab eher selten, aber es passiert. Und Arschloch kann tatsächlich vieles bedeuten: Er*Sie ist vielleicht generell unfreundlich, einschüchternd oder belästigt dich in irgendeiner Weise. Was auch immer es ist – wenn du dich in seinen*ihren Händen nicht wohlfühlst: Geh.
Solange man noch nicht angefangen hat, ist es kein Problem die Notbremse zu ziehen – Anzahlung hin oder her. Selbst wenn man schon mitten in der Sitzung ist und sich zum Beispiel rausstellt, dass der Artist seine*ihre Machtposition dir gegenüber ausnutzt oder politische Ansichten hat, die für dich indiskutabel sind: Geh!
Wenn du die Sitzung vorzeitig beenden, allerdings die direkte Konfrontation meiden willst, bleibt dir jederzeit die Ausrede, dass es dir nicht gut geht und man “leider” abbrechen muss. Lass dich in Folie einpacken, verhandle über die Bezahlung der bisher geleisteten Arbeit und verschwinde aus diesem Studio.
Wir wollen hier keine Angst schüren und sprechen definitiv von Ausnahmen! Aber wir wollten einmal deutlich darauf aufmerksam machen, dass du niemals gezwungen bist, eine Tattoositzung gegen deinen Willen durchzuziehen. Auch wenn es schwer fallen mag: Sei mutig, steh auf und geh. Lass dich nicht von einem Arschloch tätowieren. Denn andernfalls wird dich sein*ihr Werk täglich daran erinnern.
Eure Erlebnisse
Um generell mehr für das Thema sensibilisieren zu können und für einen Erfahrungsaustausch zu sorgen, haben wir euch nach euren Erlebnissen gefragt. Wir haben sehr viele Zuschriften bekommen, also erstmal danke für euer Vertrauen. Im Folgenden veröffentlichen wir eine Auswahl eurer (leider wahren) Geschichten, die wir selbstverständlich komplett anonymisiert haben. Alle Namen der Einsender*innen, Studios und Tätowierer*innen wurden geändert oder komplett entfernt und der Text leicht angepasst, ohne den inhaltlichen Sinn zu verändern.
Hannahs Erfahrung
Ich saß mal von 14 Uhr bis 1 Uhr nachts im Studio für meine Oberschenkel-Tattoos im Studio. Und da waren die Schattierungen am Ende immer noch nicht gemacht. Immer wieder wollte der Tätowierer eine rauchen und Pause machen. Die Kollegen waren irgendwann natürlich weg und wir waren dann allein im Studio. Irgendwann hat er dann gefragt, ob ich was trinken will und bot mit Wodka Red Bull an. Ich fragte, ob das nicht kontraproduktiv sei, da Alkohol das Blut verdünnt und Tätowierer einem normalerweise dazu raten, den Abend vorher schon nichts zu trinken. Aber er meinte, das sei schon okay. Dann hat er mir die ganze Zeit – total von sich selbst überzeugt – vorgeschwärmt, was für ein guter Tätowierer er doch ist.
Dem Tätowierer habe ich vertraut, da ich “Stammgast” in dem Studio und bisher auch immer zufrieden war. Doch bei ihm habe ich mich zum ersten und letzten Mal stechen lassen. Damals habe ich sogar noch so um 23 Uhr meinen jetzigen Mann angerufen, den ich damals erst kennengelernt hatte und ihn gebeten noch zum Studio zu kommen, weil mir so unwohl war!
Ich musste dann nochmal für einen weiteren Termin hin, um die Tattoos fertig zu machen. Die Kollegen waren diesmal noch da, aber ich habe mich trotzdem mega unwohl gefühlt. Im Endeffekt hätte ich nach dem ersten mal nicht mehr kommen sollen, aber das Tattoo war schon bezahlt. Leider bin ich mit dem Ergebnis nun auch total unzufrieden! Es ist nicht mal so, wie ich es haben wollte – er sei ja Künstler und würde sein Tattoo deshalb so gestalten, wie er es für richtig hält. Fazit: Es war eine Vorlage aus dem Internet, die er bloß an manchen stellen ausgemalt hat. Und dabei hat er sich sooo lange Zeit gelassen und sich so verkünstelt, dass es immer schlechter wurde.
Chrissis Geschichte
Damals war ich bei einem Walk-in Day in einem Tattoostudio, wo nur die Geschäftsführer deutsch sprachen. Die Tätowierer selbst arbeiteten im Hinterzimmer und konnten kein Wort deutsch, nur bulgarisch. Während der eine das Motiv aus dem Internet abpauste, bereitete der andere die Stelle vor, auf der das Tattoo landen sollte. Und zack – war es drauf und es ging ohne zu zögern los, obwohl ich es noch etwas ändern wollte. Aber es hat mich einfach niemand verstanden oder nachgehakt. Ich hab mich so ausgeliefert gefühlt. Während des Tätowierens lief dem Tätowierer auch noch Speichel die Lippen runter, den er gekonnt mit dem Handrücken abwischte und weiter tätowierte, als wäre nichts gewesen.
Als das Tattoo ein paar Wochen später verheilt war, war ich einfach so unzufrieden, dass ich auf deren Facebook Seite eine schlechte Bewertung abgegeben habe. Keine zwei Minuten später schrieb der Chef mir privat und war sauer. Er meinte, ich solle die Bewertung löschen und nächste Woche zum Nachstechen kommen – alles mehr bedrohlich als freundlich. Als ich tatsächlich nochmal ins Studio ging, erklärte ich zunächst, was falsch an dem Motiv ist. Die Linien waren unterschiedlich dick und stellenweise so dünn, dass man sie kaum noch gesehen hat. Auch die Schattierung war furchtbar. Das ganze Tattoo war einfach hässlich, aber er beharrte darauf, dass es so aussehen muss. Das Motiv war übrigens ein Strick. Er meinte, ein Seil wäre nun mal nicht immer gleich dick etc.
Dass es eigentlich um die ungleichmäßigen Outlines ging, verstand er wohl nicht. Naja, ich wurde auf jeden Fall ziemlich eingeschüchtert und habe mich einfach still und leise ins Hinterzimmer begeben. Zum Nachstechen. Ich war so naiv und glaubte, dass es nur besser werden könnte. Ohne dass mein Arm desinfiziert oder rasiert wurde, legte er los. Ich war wie gelähmt und hatte wirklich schon etwas Angst bekommen. Das Stechen tat auch viel mehr weh als das Mal zuvor. Und warum? Weil er die Nadel so tief in die Haut reingehauen hat, dass das Motiv jetzt völlig vernarbt ist.
Franzis Erfahrung
Ich habe einmal direkt im Studio angerufen, um ein Wannado zu reservieren und habe einen Termin für in vier Wochen erhalten. Als ich dort ankam sagte man mir dann, dass das Tattoo, was mir fest zugesagt wurde, schon jemand anderem gestochen wurde. Der Tätowierer würde mir einfach etwas Neues zeichnen. Bis dahin hatte ich noch kein einziges Wort mit dem Typen gewechselt, der dort gastierte. Nachdem ich dann zwei Stunden auf meine Zeichnung gewartet habe, hatte die überhaupt überhaupt nichts mit dem Wannado gemein – außer dem Motiv. Natürlich habe ich das kritisiert und es hat eine weitere Stunde mit den Änderungen gebraucht.
Das Tätowieren hat dann über acht Stunden gedauert, weil der werte Herr ständig unterbrach. Mal um mit Kollegen zu quatschen oder um eine Stunde auf sein bestelltes Essen zu warten. Das Ende vom Lied: Ich durfte mehr als den vereinbarten Festpreis bezahlen, weil es so lange gedauert hat. Auch auf meinen Einwand, dass ich dort bereitlag und außer kurzen Toilettenpausen keine brauchte, ging man nicht ein.
Ich habe mich noch nie so unwohl gefühlt und hatte aber auch einfach nicht die Eier zu sagen, dass ich keine andere Ausführung des Motivs wollte. Dafür habe ich Jahre und eine weitere Tattoositzung benötigt, um mich mit der Tätowierung anzufreunden. Wenn ich an die Geschichte denke, wird es mir jedes mal flau im Magen. Ich hatte gehofft, mich in ein gutes renommiertes Studio zu begeben, doch heute rate ich anderen davon ab, wenn sie mich danach fragen. Auch wenn die Arbeit handwerklich gut war, fühlte ich mich als Mensch und Kunde übergangen und nicht gut aufgehoben.
Marions Erlebnis
Tatsächlich habe ich mal einen Termin abgebrochen, weil ich mich sehr unwohl bei dem Tätowierer gefühlt habe. Denn er ist nicht auf meine Vorschläge eingegangen und gab mir einfach das Gefühl, er wolle mich nur abfertigen und das Geld kassieren. Aber so wirklich Bock hatte er wohl nicht. Das fing aber schon beim Betreten des Ladens an, wo zwei andere Tätowierer des Studios mich eher “genervt” empfangen haben.
Ursprünglich geplant war ein kleineres Tattoo am Arm, doch er wollte mir das Motiv dann plötzlich übers ganze Bein platzieren. Es handelte sich übrigens um einen Schriftzug. Als ich meinte, ich müsste mir das kurz nochmal überlegen kam direkt “Ja, ich hab es dir jetzt aber schon gezeichnet”, und man versuchte mir ein schlechtes Gewissen einzureden. Dabei hat er buchstäblich einfach nur das abgepaust, was ich ihm zuvor gegeben hatte.
Julias Erfahrung
Der Termin hat sich unendlich in die Länge gezogen. Der Tätowierer war x-mal rauchen, was essen und unterbrach das Tätowieren wirklich ständig. Aber am meisten hat mich gestört, dass um mich herum noch mindestens drei Leute standen und sich mit ihm unterhalten haben. Ich lag da mit meinem halbnackten Popo schön den Kollegen zugedreht, da das Tattoo seitlich am Oberschenkel gestochen wurde. Die ganze Zeit wurde sich auf Englisch über mich hinweg unterhalten, als wäre ich nicht da gewesen. Natürlich hat sich auch niemand darum bemüht, mich mit ins Gespräch einzubeziehen.
Das hat sich einfach echt doof angefühlt. Auch wenn mir klar ist, dass ich eine Tattoo- und keine Therapiesitzung bestellt hatte. Ich habe mich auf in dem Studio total fehl am Platz gefühlt. Leider mag ich das Tattoo dadurch auch gar nicht so gerne, wie ich es wohl sonst tun würde, weil es technisch echt super ist.
Noch einmal: Danke für eure Einsendungen und das Teilen eurer Erfahrungen! Ihr habt deutlich gemacht: Selbst wenn das Tattoo an sich gut sein sollte, steht es in erster Linie mit der negativen Erfahrung in Verbindung. Davor könnt ihr euch leider nur selbst schützen, indem ihr Mut fasst und nicht alles über euch ergehen lasst. Wenn ihr euch schlecht behandelt fühlt, solltet ihr das Studio verlassen, bevor ihr mit einem Motiv leben müsst, dass euch an solch ein Erlebnis erinnert. Es kann zwar viel Überwindung kosten aufzustehen und zu gehen, aber ihr müsst die*den Tätowierer*in wahrscheinlich nie wieder sehen. Das Tattoo jedoch wäre für immer auf eurer Haut.
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