Tattoos an Gesicht, Händen & Hals – Artists erklären, warum es keine leichte Entscheidung ist

Halstattoo von Henja Fin
Halstattoo von Henja Fin

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Tattoos an Gesicht, Händen und Hals sind stets sichtbar und genauso beliebt wie kritisiert. Doch wann ist man bereit für diese „extremen“ Stellen, die nicht mehr zu verstecken sind? Neben der Sorge, wie das Umfeld darauf reagiert, stellt sich auch folgende Frage: Wie fühlt es sich an? Wie ist es, diese Entscheidung zu treffen und den Wunsch umzusetzen, ein stark auffälliges Tattoo für immer auf dem Körper zu tragen?

Bereits an Stellen, die gesellschaftlich gesehen akzeptierter sind, ist die Reaktion von Fremden, Freund*innen oder Familienmitgliedern schon ziemlich bunt gemischt. Ob man auch mit dieser Kritik umgehen kann, sieht man erst, wenn das Tattoo unter der Haut ist.

Gesichtstattoo von Phil Octowhale
Gesichtstattoo von Phil Octowhale

Verstecken gilt nicht!

Bei Gesichts-, Hand-, und Hals-Tattoos funktioniert der Trick bei Oma, auf der Arbeit oder der Familienfeier etwas Langärmeliges zu tragen, nicht mehr. Spätestens im Winter, wenn der Schal abgelegt, die Handschuhe ausgezogen und die Mütze abgesetzt ist, sind Tattoos an Gesicht, Händen und Hals sichtbar.

Der „richtige“ Job, ein gesundes Selbstbewusstsein und ein tolerantes Umfeld können helfen, die Entscheidung leichter zu treffen. In erster Linie sollten Tattoos jedoch nur für einen selbst sein und damit eine freie und gut überlegte Entscheidung. Am Ende muss man sich schließlich damit wohlfühlen – und zwar immer.

Dabei ist das Vertrauen und die Beratung des Artist, für den du dich entschieden hast, nicht zu unterschätzen. Diese*r kann dich nicht nur vor einer undurchdachten Handlung schützen, sondern auch bei der ästhetischen Platzierung und Motivwahl helfen. Denn diese Punkte sind natürlich wichtig, um auch langfristig zufrieden mit der Entscheidung für dein Tattoo zu sein.

Handtattoo von Henja Fin
Handtattoo von Henja Fin

Eine schwere Entscheidung – auch für Tätowierer*innen!

Auch für Artists sind Tätowierungen an solchen stark sichtbaren Stellen wie Gesicht, Händen und Hals nichts Alltägliches. Wir haben uns einmal mit Henja Fin, Phil Octowhale und Rebecca Bertelwick über diese „pikanten“ Stellen unterhalten.

Hey, ihr drei. Danke für eure Zeit! Wie sieht es bei euch bei dem Thema aus? Habt ihr Bedenken, Kundenwünsche an stark sichtbaren Stellen umzusetzen?

Henja FinHenja: Bei so stark sichtbaren Platzierungen ist es bei mir Voraussetzung, dass die Person erstens schon etliche Tätowierungen hat, zweitens einen Beruf ausübt oder ausüben möchte, bei dem solche Stellen keine Probleme darstellen und drittens dem Kunden bewusst ist, dass sich damit seine äußerliche Wahrnehmung in seinem Umfeld drastisch ändert.

Hände tätowiere ich sehr gerne, da ich die Position sehr ästhetisch finde und mir das Arbeiten daran sehr viel Spaß macht. Hals finde ich immer etwas schwierig, aber es ist ebenfalls eine sehr ästhetische Platzierung. Das Gesicht tätowiere ich grundsätzlich nicht, da ich es persönlich nicht schön finde und es mir zu sehr in das Erscheinungsbild und den Ausdruck eines Menschen eingreift. Das Einzige, auf das ich mich da einlasse, ist der Schläfenbereich.

Handtattoo von Henja Fin
Handtattoo von Henja Fin

Phil: Natürlich tätowiere ich Hals, Hände und auch Gesichter. Es ist ein gutes Gefühl, wenn jemand einem diese „immer“ sichtbaren Stellen anvertraut. Dabei gilt prinzipiell das Gleiche, wie an anderen Stellen auch: der*die Kund*in sollte wissen, was er*sie tut und sich absolut sicher sein.

Dabei spielt weniger das Alter, als wie stark jemand bereits tätowiert ist, eine Rolle. Manche Menschen sind mit 20 schon sehr reif, manche mit 30 noch sehr unreif. Wer aber sein erstes Tattoo direkt ins Gesicht will, ist wahrscheinlich sehr unreif und hat keine Ahnung, welche Außenwirkung so ein Tattoo haben kann.

Wenn ich also das Gefühl habe, dass da jemand im Begriff ist, was Dummes zu tun, versuche ich sachlich und mit guten Argumenten zu erklären, warum ich dieses Gefühl habe. Wenn’s um diese Stellen geht, halte ich in der Regel sowieso immer eine kleine Ansprache.

Handtattoos von Phil Octowhale
Handtattoos von Phil Octowhale

Rebecca: Ich kann tatsächlich an einer Hand die Hand-Tattoos abzählen, die ich bislang umgesetzt habe. Das ist zum Teil auch meinem Stil und den Wanna Dos geschuldet, da ich meist sehr groß und zu detailliert arbeite. Viele meiner jetzigen Motive passen auch meiner Meinung nach nicht an den Hals oder gar ins Gesicht. Da stehe ich einfach nicht hinter.

Ich habe noch nicht wirklich viele Erfahrungen an diesen Körperteilen gesammelt, doch gute Mitarbeit und eine Vertrauensbasis seitens des*der Kund*in ist wirklich wichtig. Deshalb lerne ich die Person gern kurz vorab in einem persönlichen Gespräch kennen.


Hat es denn Überwindung gekostet, die ersten Hand-, Hals- oder Gesichts-Tattoos zu tätowieren?

Henja: Im Allgemeinen habe ich keine Bedenken dabei, Kunden an solch sichtbaren Stellen zu tätowieren, solange die oben genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Die Motivideen müssen natürlich auch passen. Es sollten schon Dinge sein, die nicht in zwei bis fünf Jahren bereut werden. Für solche Platzierungen eigenen sich eher zeitlose Motive wie zum Beispiel Tiere, Pflanzen etc., mit deren Dynamik man an den Bereichen gut spielen kann.

Als ich damals meine erste Hand tätowiert habe, konnte ich die Maschine kaum ruhig halten, weil ich vor Aufregung und Panik, dass etwas schief läuft, gezittert habe, haha. Aber heute ist es wie auf Papier zu zeichnen. Man geht mit einer gewissen Routine in die Sitzung.

Gesichtstattoo von Phil Octowhale
Gesichtstattoo von Phil Octowhale

Phil: Alle „ersten“ waren für mich aufregend. Beim ersten Gesicht ging mir ordentlich die Pumpe. Aber Blow Outs sind überall scheiße, da sollte man nicht nur im Gesicht drum bemüht sein.

Natürlich gibt man sich an jeder Körperstelle Mühe, aber an den offensichtlichen ist es schon besonders. Auch nach all den Jahren noch. Gerade für das Gesicht gehört da eine gute Schippe Erfahrung mit verschiedenen Hautbeschaffenheiten zu. Aber man brettert ja auch nicht am Unterarm einfach drauf los. Man tastet sich ran, bekommt ein Gefühl für die Haut und dann geht es schon.

Rebecca BertelwickRebecca: Ja, aber man sollte jede Körperstelle respektvoll tätowieren. Zu Beginn meiner Ausbildung empfand ich selbst Knöchel-Tattoos als „krass“, haha.

Ich persönlich finde es nicht zwingend notwendig bzw. aussagekräftig, wie viele Tattoos jemand bereits hat. Als viel wichtiger empfinde ich Eigenverantwortung und das reflektierte Bewusstsein, was eine Tätowierung an einer so sichtbaren Körperstelle für Konsequenzen haben kann. Zu dem Thema Hand- und Finger-Tattoos habe ich auch bei YouTube auf meinem Kanal „Goldorangen“ einige Mythen und häufig gestellte Fragen beantwortet.


Hat denn ein*e Kund*in schon einmal negativ darauf reagiert, als ihr eine dieser Stellen abgelehnt habt?

Henja: Es kam schön öfter vor, dass ich Kundenwünsche in diesen Bereichen abgelehnt oder stark verändert habe. Dazu habe ich aber auch immer gleich eine Begründung abgegeben und es wurde nie schlecht aufgenommen. Die Kunden konnten es nachvollziehen und haben mir für meinen Rat sogar oft gedankt.

Handtattoo von Henja Fin
Handtattoo von Henja Fin

Phil: Ein wichtiges Argument ist meiner Meinung nach der Blick über den Tellerrand. Dabei meine ich jetzt nicht nur die berufliche Zukunft. Menschen sind oft von ihrem Mikrokosmos zu sehr eingenommen. Dabei vergessen sie, dass in vielen Teilen der Welt – oder selbst in Deutschland – Tattoos immer noch äußerst kritisch beäugt werden. Man muss sich also fragen, ob man nur in seiner kleinen Welt noch einen drauf setzen will, oder ob man wirklich bereit ist, ein immer sichtbares Tattoo zu tragen.

Oft wollen Menschen ja gerade nicht die eventuell ausgrenzende Wirkung einer solchen Tätowierung erzielen, sondern eigentlich irgendwo dazugehören. An der Reaktion der Kund*innen merke ich dann schnell, woran ich bin und es gab da auch noch nie Schwierigkeiten, wenn ich gesagt habe, dass ich das in diesem Fall lieber nicht machen will.

Rebecca: Nein, die Kund*innen war immer sehr dankbar über meine Offenheit und Ehrlichkeit.


Was ratet ihr Kund*innen grundsätzlich, die sich eine dieser immer sichtbaren Stellen tätowieren lassen möchten?

Henja: Mein Rat für Leute, die überlegen, sich das erste Mal stark sichtbar tätowieren zu lassen: Denkt gut darüber nach! Ich habe mir mit meiner Hand seeehr viel Zeit gelassen. Zum einen wegen des Motivs und zum anderen habe ich lange nach dem richtigen Tätowierer gesucht. Ich glaube, zwischen Wunsch und der wirklichen Umsetzung sind drei Jahre vergangen. Ob ihr’s glaubt oder nicht: man wird mit Tätowierungen an solch sichtbaren Stellen anders wahrgenommen. Ich überlege auch seit mindestens zwei Jahren, mir den Hals verschönern zu lassen, aber das wird wahrscheinlich auch noch laaange dauern, haha.

Tattoo an der Schläfe von Henja Fin
Tattoo an der Schläfe von Henja Fin

Phil: Als Kund*in solltest du dir über die Konsequenzen einer immer sichtbaren Tätowieren wirklich, wirklich im Klaren sein. Fang nicht an Hals und Händen an. Wenn du erstmal ein paar Tattoos gesammelt hast, wird sich deine Sicht darauf, und wahrscheinlich auch dein Geschmack, ändern. Man hat ein Leben lang Zeit, um sich tätowieren zu lassen – also nichts überstürzen.

Rebecca: Ich versuche, in einem beratenden Gespräch die Ursache für diese Bedenken zu finden. Ist die Sorge da, dass man langfristig nicht mehr hinter dem eigentlichen Motiv stehen könnte, dann sollte man definitiv warten. In dem Fall ist es einfach noch nicht DIE Idee und ein solches Tattoo rennt ja auch nicht weg.

Oft entstehen diese Überlegungen durch das Umfeld oder weil der eigene Partner nicht hinter der Körperstelle bzw. der Motivwahl steht. Es sind Bedenken bezüglich des Jobs, Arbeitgebers oder man steckt noch mitten im Abitur/Studium/Ausbildung. Auch wenn der derzeitige Arbeitgeber dem Thema sehr entspannt gegenübersteht, sollte man stets abwägen, ob man langfristig in der Branche beruflich tätig sein möchte bzw. wie andere Unternehmen/Arbeitgeber zu diesen Tätowierungen stehen.

Solche Argumente sollten je nach Gewichtung auf jeden Fall gut überdacht werden. Zwar werden Tätowierungen immer gesellschaftsfähiger und immer mehr Alltag, aber ich merke täglich im öffentlichen Raum die Blicke, höre Bewertungen und Kommentare. Oder man kommt, teils gewollt, aber manchmal auch ungewollt, mit Fremden ins Gespräch. Sollten aber all diese Kriterien gut durchleuchtet worden sein, steht einem solchen Projekt nichts im Wege. Und ja, Hals tut (leider) definitiv mehr weh.


Immer noch etwas Besonderes

Selbst für Tätowierer*innen sind solche auffälligen Stellen also nicht ohne. Und das obwohl – oder vielleicht genau weil – sie selbst oft solche dauerhaft sichtbaren Tattoos tragen. Sie wissen eindeutig, welche Verantwortung sie damit tragen und dass Leben ihrer Kund*innen so dauerhaft beeinflussen können.

Trotz ihres Tattoo-Alltags ist es also auch für die meisten Artists immer noch eher etwas besonderes, jemanden an Händen, Hals oder im Gesicht zu tätowieren. Selbst wenn sie solche Stellen schon häufiger mit ihren Motiven schmücken durften, ist der Druck eine perfekte Arbeit zu leisten hier intensiver. Sollten sie also im Vorfeld kein gutes Gefühl bei einem Motiv an einer solchen Stelle haben, ist es nur richtig, dieses Motiv auch abzulehnen. Gerade ein permanent sichtbares Tattoo sollte mit voller Hingabe und Überzeugung gestochen werden!

Halstattoo von Henja Fin
Halstattoo von Henja Fin

Das war’s noch nicht!

Doch auch für die Träger*innen sind Tattoos an Hals, Händen und im Gesicht in der Regel ein großer Schritt. Inwiefern solche Tätowierungen dein Umfeld oder gar dich selbst verändern können und was für Bedenken man sich vielleicht machen sollte, erfahrt ihr bald im zweiten Teil dieser kleinen Interview-Reihe! Dort erzählen euch dann ein paar liebe Menschen mit sehr auffälligen Tätowierungen von ihren eigenen Bedenken und Erfahrungen.

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