Dein Support für Feelfarbig 🖤Hi! Schön, dass dir unsere Arbeit gefällt. Unsere Recherchen und Beiträge sind stets unabhängig und für dich kostenlos. Damit das auch so bleiben kann, freuen wir uns über Vielen Dank! ✌️
Über Narben tätowieren: Möglichkeiten und Erfahrungen
Trigger-Warnung: Dieser Artikel behandelt das Übertätowieren von verschiedenen Narbengeweben und enthält entsprechendes Bildmaterial. Auch das Thema Self-harm wird angesprochen und im Rahmen von Erfahrungsberichten durch Betroffene thematisiert.
Inhalt
- Einleitung
- 1 – Narben sind individuell
- 2 – Wie Narben entstehen
- 3 – Vorgespräch mit deinem Artist
- 4 – Was ist beim Tätowieren anders?
- 5 – Erfahrungen von Tattoo Artists und ihren Kund*innen
Über Narben zu tätowieren ist wirklich keine Seltenheit. Ob nun Self-harm, Unfall, OP-Narbe oder Dehnungsstreifen – die meisten kommen irgendwann nicht drum herum. Und das ist auch gar nicht schlimm! Wer Tattoos haben möchte, muss nicht unbedingt darauf verzichten, auch Stellen tätowieren zu lassen, die als Narbengewebe gelten.
Oftmals sind Kunden*innen unsicher oder verzichten auf Stellen, von denen sie glauben, man könnte sie nicht oder nur schlecht tätowieren. Doch die Möglichkeiten sind nicht so begrenzt, wie viele denken! Wir haben Tätowierer*innen und Kunden*innen nach ihren Erfahrungen gefragt und alles rund ums Tätowieren von Narben für euch zusammengetragen.
Narben sind individuell
Wenn die Haut eine Verletzung erleidet und diese anschließend repariert, entsteht eine Narbe. Dabei gibt es ganz verschiedene Arten von Narben mit verschiedenen Erscheinungsbildern. Wie genau eine Narbe aussieht, unterscheidet sich von Mensch zu Mensch. Darüberhinaus kann selbst eine einzelne Person an verschiedenen Körperstellen unterschiedlich aussehende Narben tragen. Nicht jede Verletzung verheilt gleich und keine Narbe entspricht der anderen. Daher brauchen Tattoo Artists vorab stets ein paar mehr Informationen zu den Narben, die sie übertätowieren sollen
Narben und Dehnungsstreifen sind etwas völlig Normales – da macht weder Geschlecht noch Hautfarbe oder sonstiges einen Unterschied. Dehnungsstreifen entstehen beispielsweise durch Gewichtszunahme, Muskelaufbau, Schwangerschaft oder einen Wachstumsschub in der Kindheit an diversen Körperstellen.
Auch selbstverletzendes Verhalten, wie Schneiden oder Verbrennen, hinterlässt Narben, welche genauso wie Dehnungsstreifen nach Schweregraden zu unterscheiden sind. Bei starken oder großflächigen Verletzungen gibt es Möglichkeiten, um die Haut bei der Verheilung und Narbenbildung zu unterstützen. Auch bereits bestehende Narben kann man speziell pflegen und so ihr Erscheinungsbild etwas beeinflussen. Ganz verhindern oder komplett verschwinden lassen kann man Narben in der Regel jedoch nicht.
Wie Narben entstehen
Nach beinahe jeder Verletzung der Haut, bildet diese anschließend Narbengewebe. Dabei gehören beispielsweise Tätowierungen oder oberflächliche Kratzer zu den seltenen Ausnahmen, die nicht zur Narbenbildung führen.
Beim Heilungsprozess arbeitet der Körper möglichst schnell daran, die Wunde zu verschließen und so die natürliche Hautbarriere wiederherzustellen. Dabei bildet sich ein neues Gewebe, welches sich von der ursprünglichen Haut unterscheidet: Narbengewebe. Im Gegenteil zur restlichen Haut sind Narben nicht elastisch, weshalb sie als verhärtet oder steif wahrgenommen werden. Durch diesen Unterschied zur umliegenden Haut empfinden viele Menschen aufgrund ihrer Narben ein Spannungsgefühl. Außerdem erscheinen Narben oft glatter und glänzender als die restliche Haut. Das liegt daran, dass die Kollagenfasern im Narbengewebe anders angeordnet sind als in „normaler“ Haut.
Generell tendieren Narben dazu, erhabener und stärker pigmentiert zu sein als die restliche Haut. Das kann sich im Laufe der Zeit jedoch noch verändern. Einige Narben benötigen zwei bis drei Jahre, um zu erblassen und ihr Wachstum vollständig abzuschließen. Erst dann bleiben sie weitestgehend unverändert und können übertätowiert werden.
Vorgespräch mit deinem Artist
Fragt den gewünschten Tattoo Artist einfach direkt nach seinen*ihren Erfahrungen auf dem Gebiet. Die meisten haben in ihrer Laufbahn schon vernarbte Haut tätowiert oder sogenannte „Scar-Cover“ gemacht, bei denen Narben kaschiert werden.
In einem persönlichen Vorgespräch mit dem Tattoo Artist kann dieser sich bereits ein Bild von der vernarbten Stelle machen. Ansonsten können auch Fotos der gewünschten Stelle und Informationen zur Narbe hilfreich sein. Dabei sind vor allem das Alter und die Erhabenheit der Narbe von Bedeutung. Anschließend kann euer Tattoo Artist mit euch besprechen, welche Motive möglich sind. Beispielsweise bieten sich besonders florale und natürliche Motive auf stärkerem Narbengewebe an. Symmetrische und geometrische Motive hingegen eignen sich eher nicht.
Gerade bei einem Scar-Cover ist es wichtig, den Fokus nicht auf den Narben zu legen. Vielmehr muss man hier großflächig denken, um die Narbe im Hintergrund verschwinden zu lassen.
Was ist beim Tätowieren anders?
Narbengewebe zu tätowieren ist also möglich, aber macht es während des Tätowierens einen Unterschied? Zunächst einmal schwillt Narbengewebe unabhängig vom Schmerzempfinden an, wenn es gereizt wird. Gerade nach dem Tätowieren ist die Schwellung meist sehr stark und ungleichmäßig, wodurch das Motiv erstmal leicht verzerrt aussieht.
Nach dem Abheilen sind die Narben jedoch deutlich weniger sichtbar als zuvor. In manchen Fällen können sie unter dem Tattoo, wie auch bei untätowierter Haut, dadurch auffallen, dass sie etwas glänzen. Je nach Beschaffenheit der Haut kann es außerdem sein, dass die Linien im Narbengewebe leicht verlaufen. Das fällt aber nicht zwangsläufig auf, wenn das Motiv gut an die Hautstruktur angepasst wird.
Erfahrungen von Tattoo Artists und ihren Kund*innen
Tattoo Artist Marly (@blaine.c.rose)
Die Tätowierung im Narbengewebe heilt und hält meiner Erfahrung nach sehr gut. Bei manchen Hauttypen sogar besser als bei unvernarbter Haut. Sie sieht oft intensiver aus, da die obere Hautschicht, die Epidermis, fehlt oder beschädigt ist und die Haut an dieser Stelle glänzender und transparenter ist. Narben sind in den meisten Fällen fester und das merkt man auch direkt beim Tätowieren, was nicht unbedingt ein Nachteil ist, denn die Haut ist so automatisch gestrafft.
Schwierig wird es erst mit der Schwellung. Gerade bei Schnittnarben, wo dazwischen unverletzte Haut liegt, entsteht eine sehr wellige Schwellung und man muss oft den Winkel der Maschine ändern. Auch die Schmerzempfindlichkeit der Kund*innen ist oft höher bei tiefen Schnittnarben. Manche spüren aber auch keine Schmerzen, als wäre die Haut dort taub. Das habe ich selbst auch schon erlebt, als meine Scarifications (Ziernarben) tätowiert wurden.
Meine interessanteste Erfahrung war bei einem Kunden auf der Brust mit Operationsnarben. Diese waren ca. 1 cm hoch und es gab keine Schwierigkeiten. Es war nur sehr ungewöhnlich zu tätowieren wegen der Form.
Allgemein fallen Narben auf den ersten Blick nicht auf, wenn sie in einem Tattoo eingearbeitet sind. Man sollte nach einer frischen Vernarbung allerdings ca. zwei Jahre warten, bevor man über sie tätowiert, um sicher zu sein, dass nicht mehr beschädigt wird.
Marlys Kundin Inken
Was das Tätowieren angeht, hat Inken einen Unterschied feststellen können: „Ich finde jedes Tattoo auf seine eigene Art und Weise schmerzhaft. Allerdings ist das Gefühl auf der Narbe wesentlich intensiver, als ob die Nadeln in einer Wunde stecken, die kurz unterhalb der eigentlichen Hautfläche liegt.
Bei der Abheilung gab es für sie keine Probleme: „Die Narbe hat keine Verwachsungen in den tiefen Bauchbereich, sondern liegt relativ oberflächlich, sodass die Abheilung auch sehr gut verlief! Man hat keinerlei Unterschiede zwischen der Abheilung der Haut und dem Abheilen der vernarbten Haut gemerkt.“
Mit ihrem Tattoo ist Inken auf jeden Fall sehr zufrieden: „Ich habe sehr viele Narben am Bauch und bin dann immer froh, wenn mich nicht alle Menschen danach fragen, was dort passiert ist. Jetzt bekomme ich meistens das positive Feedback, dass ich wundervolle Tattoos auf meinem Bauch habe und das macht mich sehr glücklich!“
Tätowiererin Vivien Krispin (@vivvy.ink)
Selten hat ein*e Kund*in makellose Haut. Wir alle haben kleine Narben oder Dehnungsstreifen. Oftmals fallen mir diese erst dann auf, nachdem ich die Stelle bereits tätowiert habe, da sie kurz danach anschwellen und somit sichtbarer werden. Solche kleineren Unebenheiten stellen also nicht wirklich ein Problem dar. Natürlich hat man es aber auch mal mit auffälligerem Narbengewebe zu tun. Solange gewisse Voraussetzungen erfüllt sind, ist das an sich auch kein Problem! Generell gilt: je älter, desto besser – allerdings ist jede Narbe anders.
Vor meinen ersten Narben-Cover auf stark vernarbter Haut, welche durch Selbstverletzungen entstanden waren, hatte ich enormen Respekt. Grundsätzlich arbeite ich bei Narben erstmal ein wenig vorsichtiger. Die Narben schwellen extrem an, nachdem man drüber tätowiert hat, was die Sache etwas komplizierter macht. Meines Gefühls nach benötigt man etwas mehr Zeit und Aufwand, um die Farbe anständig in das angeschwollene Gewebe zu bekommen. Bei Gewebe, welches sehr stark vernarbt ist – zu stark, um dort drüber zu tätowieren – versuche ich mit optischen Täuschungen zu arbeiten, sodass die Narben nicht auf den ersten Blick auffallen, sondern ins Motiv einfließen.
Ich bin jedes Mal positiv überrascht, wie gut sich Narben covern lassen. Manchmal kommt es vor, dass stark geschwollene Narben die Farbe nicht so gut annehmen, wie die glatte Haut. Dann muss man beim Nachstechen oder einer zweiten Sitzung nochmal drüber, aber damit ist es meist auch schon getan.
Über Narben zu tätowieren ist immer etwas Besonderes, vor allem wegen der Reaktionen der Kund*innen. Für viele ist ein Scar-Cover ein Abschluss, Neustart, Erleichterung, ein Schritt näher zur Selbstakzeptanz, Selbstliebe oder sonstigem. Für mich ist es daher immer eine Freude, auch wenn der Weg zum Endergebnis vielleicht ein wenig steiniger und holpriger ist als auf glatter Haut.
Viviens Kundin Emily
Emily hat sich ihre Narben nicht gezielt übertätowieren lassen: „Es war kein direktes Scar-Cover, sondern sie sind halt einfach da und ich hätte mich auch ohne die Narben dort tätowieren lassen. Das Motiv deckt sie auch nicht komplett ab und da ich sehr viele Narben überall am Körper habe, müsste man fast jedes Tattoo als Narben-Cover ansehen – was ich nicht mache. Es ist natürlich ein schöner Nebeneffekt, dass sie dadurch unauffälliger werden. Dadurch ist es auch angenehmer mit kurzer Kleidung rauszugehen, weil die Narben nicht der erste Blickfang auf mir sind. Nach den Narben fragen die Leute trotzdem, da man sie ja am Rand und an untätowierten Stellen noch sieht. Generell helfen Tattoos mir bei meiner Selbstakzeptanz, da sie etwas sind, das ich an meinem Körper mag und mein (gestörtes) Selbstbild etwas verbessern.“
Einen wirklichen Unterschied beim Tätowieren hat Emily nicht bemerkt: „Die Abheilung war super schnell und entspannt. Nur die Narben sind natürlich ein bis zwei Wochen lang angeschwollen und das Eincremen ist unangenehm, weil man immer über die „Hubbel“ rüber muss.“
Tattoo Artist Henja Fin
Bei dem Tätowieren über vernarbte oder gerissene Haut ist Einiges zu beachten. Oftmals kommt es bei Narben darauf an, wie tief die Verletzungen waren, wie gut sie verheilt sind und wodurch sie zustande kamen. Bei Narbenwülsten, die meist durch tiefe Schnitte oder Verletzungen mit stumpfen Gegenständen entstanden, muss man die Höhenunterschiede zur glatten Haut, die Empfindlichkeit und auch die Aufnahme der Farbe beachten. Manchmal ist das Gewebe so stark „verklebt“, dass die Haut an dieser Stelle keine Farbe aufnimmt. Wenn Narben sehr stark hervortreten, kann man schnell zu tief stechen und muss daher sehr vorsichtig arbeiten. Bei manchen Narben ist es auch so, dass Nerven im Zuge der Verletzung durchtrennt wurden und meine Kund*innen dort somit nichts verspürt haben.
Bei Dehnungsstreifen hingegen ist das Gewebe gerissen und es kann an diesen Stellen zu sogenannten Blowouts kommen. Da das Bindegewebe an diesen Rissen sehr schwach ist, bringt es der Tattoonadel nicht denselben Widerstand entgegen, wie die „gesunde“ Haut. Falls man also nicht mit ausreichend Feingefühl arbeitet, kann die Farbe tiefer eindringen als gewollt.
Beim Abheilen hatten meine Kund*innen bis jetzt keine Schwierigkeiten. Es dauert eventuell etwas länger auf dem vernarbten Gewebe, aber einen Qualitätsunterschied zur glatten Haut konnte ich bis jetzt noch nicht feststellen.
Henjas Kundin Eloise
Eloise hat sich von Henja Narben an ihrem Arm covern lassen: „Allerdings war es nicht mein Ziel, dass man gar keine Narben mehr sieht. Das Tattoo lenkt von den Narben ab und ist noch dazu eine schöne Erinnerung an ein geliebtes Tier.“ Ihre Narben waren zu diesem Zeitpunk schon einige Jahre alt und sie hat vor dem Tätowieren keine speziellen Produkte für Narbengewebe verwendet.
Beim Tätowieren und Abheilen der Narben hat Eloise keinen Unterschied bemerkt: „Es war weder viel schmerzhafter, noch deutlich unempfindlicher. Die Abheilung war schnell und komplett problemlos. Bei mir gab es keinen Unterschied zur nicht vernarbten Haut.“
Mit ihrem Tattoo ist Eloise auf jeden Fall sehr glücklich: „Mir fällt es leichter kurzärmlige Kleidung zu tragen. Der Blick fällt erstmal auf das Tattoo und nicht auf die Narben. Statt unangenehmen Fragen zu den Narben kriegt man nun eher interessierte Fragen zum Tattoo. Ich fühle mich generell selbstbewusster und kann auch für mich selbst leichter mit der Vergangenheit abschließen, da man mit einem Blick auf den Arm nicht immer daran erinnert wird. Stattdessen freu man sich nun einfach so ein schönes Kunstwerk auf sich tragen zu dürfen!“
Henjas Kundin Ragna
Ragna hingegen hat beim Tätowieren einen Unterschied bemerkt: „Das Narbengewebe ist ziemlich verhärtet und sowieso schon sehr sensibel. Das Tätowieren über die Narben war bei mir auf jeden Fall schmerzhafter, als auf nicht vernarbter Haut. Insbesondere nachdem die Narben durch die Irritation der Nadel zusätzlich hervorgetreten sind. Gleichzeitig hatte es für mich etwas sehr Kathartisches.“
Das Abheilen hingegen war wie gewohnt: „Die Abheilung an sich verlief problemlos, wie bei anderen Tattoos auch. Es hat allerdings eine gute Woche gedauert, bis sich die Narben auf ihr Ursprungsniveau zurückgebildet haben und der Spannungsschmerz nachließ.“
Mit dem Tattoo wollte Ragna bewusst ihre Selbstverletzungsnarben covern: „Darauf habe ich Jahre hingearbeitet und es war im Vorfeld mit einigen Rückschlägen verbunden. Dementsprechend hat es großen Einfluss auf meinen Bezug zu mir und meinem Körper. Es ist eine Wiedergutmachung und bedeutet Akzeptanz, ohne zu vergessen. Es ist eine Erinnerung daran, dass ich mich verändert und gelernt habe; dass ich gewachsen bin. Ich liebe es von Tag zu Tag mehr und mich damit auch. Jeden Tag ein kleines bisschen.“
Narben sind kein Hindernis
Wie ihr nun gelesen habt, können Narben das Tätowieren zwar erschweren, jedoch stellen sie kein unüberwindbares Hindernis dar. Wer sich eine Tätowierung wünscht, sollte sich von Narbengewebe nicht aufhalten lassen. In den Händen des richtigen Artists ist vieles möglich, ihr werdet gewissenhaft beraten und über eure Möglichkeiten aufgeklärt. Die meisten Artists haben Erfahrungen auf dem Gebiet oder können euch gegebenenfalls an eine*n Kolleg*in ihres Vertrauens verweisen. Fragt einfach nach und seht eure Narben nicht als Tattoo-Stopper an, denn das sind sie in den meisten Fällen wirklich nicht!
- Bayat A. et al. (2003) Skin scarring. BMJ. 2003;326(7380):88-92.
- Marshall C.D. et al. (2018) Cutaneous Scarring: Basic Science, Current Treatments, and Future Directions. Adv Wound Care (New Rochelle). 2018;7(2):29-45.
- Willyard C. (2018) Unlocking the secrets of scar-free skin healing. Nature. 2018;563(7732):S86-S88.